Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
den Augen. Doch Ged war seiner Fährte so gewiß, als folge er einer Tierspur im Schnee, anstatt einer Spukgestalt übers Wasser. Obwohl er den Wind im Rücken hatte, behielt Ged den magischen Wind im Segel, der Schaum sprühte vom stumpfen Bug, und das Schiff schoß pfeilschnell durch die Wellen.
Lange hielten sie, Verfolger und Verfolgter, ihren spukhaften, rasenden Lauf durch. Der Tag war kurz, die Dunkelheit kam schnell. Ged vermutete, daß sie bereits südlich von Gont waren und sich jetzt auf Spevy oder Torheven zu bewegten oder vielleicht schon an diesen Inseln vorbeigeeilt waren und sich im Außenbereich befanden. Er konnte nicht feststellen, wo sie waren. Es war ihm auch einerlei. Er jagte, er verfolgte, und die Furcht eilte ihm voraus.
Doch plötzlich sah er den Schatten ganz kurz und nicht weit entfernt vor sich. Der Wind der Welt hatte nachgelassen, der Hagel hatte aufgehört, statt dessen kamen kalte, immer dichter werdende Nebelfetzen auf ihn zu. Dazwischen sah er ab und zu den Schatten, der rechts abgebogen war. Ged sprach zu dem Wind in seinem Segel, während er das Steuerruder herumdrehte, und folgte dem Fliehenden, aber es wurde eine blinde Jagd: Der Nebel wurde immer dichter, er brodelte und wogte, und wenn er auf den magischen Wind traf, dann teilte er sich und schloß sich um so fester um das Boot, eine bleiche Masse ohne Anhaltspunkte, die Licht und Sicht ausschloß. Als Ged schon im Begriff war, Worte des Lösens und Teilens zu sprechen, sah er wieder den Schatten. Er war noch weiter nach rechts abgebogen und bewegte sich jetzt langsamer vorwärts. Der Nebel blies durch die gesichtslose, verschwommene Form seines Kopfes, doch war er jetzt gestaltet wie ein Mensch, nur änderte er sich stetig, wie es menschliche Schatten tun. Ohne die Geschwindigkeit seines Bootes zu verringern, drehte Ged auch weiter nach rechts, überzeugt, daß er nun seinen Feind in Grund und Boden gefahren habe, aber jählings spürte er, daß sein Boot auf Grund gelaufen war und an den flachen Felsen zerschellte, die der Nebel verdeckt hatte. Ged wurde beinahe über Bord geworfen, aber er klammerte sich an seinen Mast, bevor die nächste Welle über ihm zusammenschlug. Sie war riesig; sie hob das kleine Boot aus dem Wasser empor und zertrümmerte es auf einem Felsen, wie ein Mensch ein Schneckenhaus hochhebt und zermalmt.
Stark und zauberkräftig war der Stab, den Ogion geschnitzt hatte. Er brach nicht entzwei, sondern schwamm trocken und leicht auf den Wellen. Ged hielt sich daran fest und wurde von den Wellen, die von der flachen Felsküste zurückprallten, ins tiefe Wasser getragen und bis zur nächsten Welle vor dem Zerschellen an den Felsen bewahrt. Vom Salzwasser halb blind und erstickt, versuchte er, den Kopf über Wasser zu halten und sich gegen den ungeheuren Sog des Meeres zu stemmen. Neben den Felsen hatte er ein Stückchen Sandstrand erspäht und versuchte, sich vom Sog freizuschwimmen, während die nächste Welle sich erhob. Mit seiner ganzen Kraft und mit Hilfe des Stabes mühte er sich, den Strand zu erreichen. Aber er kam nicht näher. Die an- und abschwellenden Wogen warfen ihn hin und her wie einen Lumpen. Die Kälte der Meerestiefe zog die Lebenswärme aus seinem Körper und schwächte ihn derart, daß er bald seine Arme nicht mehr bewegen konnte. Er sah weder Fels noch Strand und wußte nicht mehr, in welcher Richtung er trieb. Um ihn brandete das Wasser, es war unter und über ihm, es nahm ihm die Sicht, es würgte ihn, es zog ihn in die Tiefe.
Unter den Nebelfetzen schwoll eine Woge an, die ihn packte, ein paarmal herumrollte und wie ein Stück Treibholz ans Ufer warf.
Hier blieb er liegen. Mit beiden Händen hielt er den Stab aus Eibenholz umklammert. Kleinere Wellen spülten über ihn hin weg. Sie zogen und zupften und versuchten, ihn vom Sand herunter zurück ins Meer zu schwemmen. Über ihm teilte sich der Nebel und schloß sich wieder. Kurz darauf trommelten Hagel und Regen auf ihn nieder.
Lange Zeit lag er so, dann regte er sich. Auf Händen und Füßen kroch er langsam den Strand hinauf, weg vom Wasser.
Es war pechschwarz, doch er flüsterte seinem Stab etwas zu, und ein kleines Werlicht flackerte auf an seinem Ende. Bei seinem Licht schleppte er sich mühsam vorwärts, die Düne hinauf. Er war so erschlagen, so erschöpft und so durchgefroren, daß das Kriechen im nassen Sand, in der heulenden, vom Donner des Meeres erfüllten Dunkelheit das Allerschwerste war, was er je in seinem Leben
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