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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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getan hatte. Ein- oder zweimal war es ihm, als sterbe der Wind ab, und der nasse Sand unter seinen Händen zerfiel zu trockenem Staub. Er fühlte fremde Sterne regungslos auf seinen Rücken starren; er aber hob den Kopf nicht, sondern kroch weiter, und nach einer Weile hörte er wieder den eigenen keuchenden Atem, und er spürte den eisigen Wind, der ihm den Regen ins Gesicht peitschte.
    Die Bewegung brachte etwas Wärme in seinen Körper, und als er zwischen den Dünen umherkroch, wo die Regenstöße weniger heftig waren, gelang es ihm, sich hinaufzuziehen und auf den Beinen zu stehen. Er sprach ein stärkeres Werlicht an seinen Stab, denn die Welt war stockfinster. Mit Hilfe seines Stabes, auf den er sich stützte, bewegte er sich langsam vorwärts, und stolpernd und strauchelnd, mit vielem Anhalten, legte er eine halbe Meile zurück. Schließlich stand er auf einer Düne und hörte das Meer so laut wie zuvor rauschen, aber nicht von hinten kam das Geräusch, sondern von vorn: Die Düne neigte sich gegen einen anderen Strand. Er war auf keiner Insel gelandet, sondern auf einem Felsenriff, auf einer Handvoll Sand inmitten des weiten Ozeans.
    Er war zu erschöpft, um zu verzweifeln. Er schluchzte einmal kurz auf, dann stand er, auf seinen Stab gestützt, eine lange Zeit regungslos und verloren da. Schließlich wandte er sich nach links, damit er den Wind im Rücken hatte, und setzte beharrlich einen Fuß vor den anderen. So bewegte er sich die Düne hinunter und hielt Ausschau nach einer kleinen Vertiefung im eisbehangenen hohen Schilf, die ihm wenigstens etwas Schutz gewähren würde. Als er den Stab hochhielt, um besser zu sehen, fiel sein Auge auf etwas stumpfglänzendes am Rande des Lichtkreises: eine Wand aus regennassem Holz.
    Es war eine Hütte oder ein Verschlag, klein und wackelig, als ob es ein Kind gebaut hätte. Ged klopfte mit seinem Stab an die niedrige Tür. Sie wurde nicht geöffnet. Er stieß sie auf und trat ein. Er mußte sich tief bücken, und selbst drinnen konnte er nicht aufrecht stehen. Kohlen glühten rot im Feuer, und in ihrem schwachen Licht sah Ged einen alten Mann mit langem weißen Haar, der sich angstvoll zusammenkauerte und gegen die Wand preßte. Ein anderer – ob Mann oder Frau, konnte Ged nicht feststellen – spähte unter einem Haufen alter Lumpen und Felle auf dem Boden hervor.
    »Ich tue euch nichts«, flüsterte Ged.
    Doch sie antworteten nicht. Als er seinen Stab niederlegte, zog die Gestalt unter den Lumpen den Kopf zurück und wimmerte. Ged streifte seinen vom Wasser und Eis schweren Umhang ab, zog sich nackt aus und setzte sich nahe ans Feuer. »Gebt mir etwas zu trinken«, bat er. Er war heiser und konnte kaum sprechen, seine Zähne klapperten, und lange Schauer schüttelten seinen Körper. Ob sie ihn verstanden hatten, wußte er nicht, keiner von beiden antwortete. Er streckte die Hand aus und nahm einen Lumpen von der Bettstelle. Es mochte einmal ein Ziegenfell gewesen sein, vor vielen Jahren, jetzt war es zerrissen und starrte vor Schmutz. Der unter den Lumpen stöhnte vor Angst, doch Ged kümmerte sich nicht darum. Er rieb sich trocken und flüsterte dann: »Habt ihr Holz? Schür das Feuer, Alter! Ich komme zu euch in großer Not. Ich tue euch nichts.«
    Der alte Mann rührte sich nicht. Die Angst hielt ihn gefesselt, stumm starrte er Ged an.
    »Verstehst du mich nicht? Sprecht ihr nicht hardisch?« Ged hielt inne, dann fragte er: »Kardisch?«
    Bei diesem Wort nickte der alte Mann sofort, einmal nur, wie eine traurige alte Marionette. Da es das einzige Wort war, das Ged in dieser Sprache kannte, nahm das Gespräch ein endgültiges Ende. Er fand Holz, das an einem Ende der Wand gestapelt war, und legte selbst Scheite auf das Feuer. Dann gestikulierte er und bat um Wasser, denn es war ihm schlecht geworden von dem vielen Salzwasser, das er geschluckt hatte, und jetzt war seine Kehle ausgetrocknet. Sich krümmend, deutete der Alte auf eine große Muschel, die Wasser enthielt, und schob Ged eine andere Muschel mit Streifen von geräuchertem Fisch zu. Ged aß und trank ein wenig, und als er etwas gestärkt war und wieder klar denken konnte, überlegte er, wo er sich befand. Selbst unter magischem Wind konnte er nicht bis in die Länder von Kargad gesegelt sein. Dieses Felsenriff mußte im Außenbereich liegen, östlich von Gont, aber immer noch westlich von Karego-At. Es war seltsam, daß Leute so weit draußen wohnten, so einsam, auf einem Streifen Sand nur, aber er war

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