Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
zu erschöpft, um weiter darüber nachzudenken.
Ged hielt seinen Umhang von allen Seiten gegen das Feuer. Das silbrige Pellawifell trocknete rasch, und sobald der Wollstoff außen wenigstens warm – wenn auch nicht trocken – war, wickelte er sich in seinen Umhang und streckte sich beim Feuer aus. »Legt euch hin, ihr armen Leute«, sagte er zu seinen schweigsamen Gastgebern, und als er den Kopf auf den Sandboden gelegt hatte, schlief er sofort ein.
Drei Nächte verbrachte er auf diesem namenlosen Eiland, denn als er am ersten Morgen erwachte, tat ihm alles weh, und er hatte Schüttelfrost. Wie ein Klotz aus Treibholz lag er den ganzen Tag und die kommende Nacht neben der Feuerstelle. Am anderen Morgen wachte er auf, steif und mit schmerzenden Gliedern, aber er war wenigstens nicht mehr krank. Er zog seine salzverkrusteten Kleider wieder an, denn es gab nicht genügend Wasser, um sie zu waschen, trat hinaus in den windigen grauen Morgen und ließ die Blicke über diesen Ort schweifen, an den ihn der Schatten gelenkt hatte.
Die Insel war nichts weiter als ein halb mit Sand bedecktes Stück Fels, höchstens eine halbe Meile breit und nicht viel mehr in der Länge; sie war umgeben von Sandbänken und Felsenriffen. Die Hütte stand in einer Vertiefung zwischen den Dünen. Der alte Mann und die alte Frau lebten hier ganz allein in der erbarmungslosen Öde des weiten Meeres. Die Behausung war aus großen und kleinen Treibholzstücken gebaut oder vielmehr zusammengestapelt; eine spärliche Quelle neben der Hütte spendete Wasser, das salzig schmeckte. Sie ernährten sich von frischem und geräuchertem Fisch und Binsenkraut. Die zerrissenen Felle in der Hütte, die paar Nadeln und Angelhaken aus Bein und die Sehnen für Angel und Feuerbohrer stammten nicht von Ziegen, wie Ged ursprünglich angenommen hatte, sondern von Seehunden, denn dies war offensichtlich ein Ort, an dem Seehunde im Sommer ihre Jungen aufzogen. Sonst aber kam niemand hierher. Die beiden Alten fürchteten sich vor Ged, nicht weil sie glaubten, er sei ein Geist, oder weil er ein Zauberer war, sondern ganz einfach weil er ein Mensch war. Sie hatten vergessen, daß es noch andere Menschen auf dieser Welt gab.
Die dumpfe Furcht des alten Mannes blieb bestehen. Wenn Ged so nahe kam, daß er ihn berühren konnte, humpelte er davon, und unter seinem strähnigen schmutzigweißen Haarschopf warf er böse Blicke auf Ged. Die alte Frau, die zuerst gewimmert und sich unter ihren Lumpen versteckt hatte, als Ged gekommen war, hockte sich dann neben ihn, als er im Fieberhalbschlaf in der Hütte lag, und warf ihm seltsame, sehnsüchtige Blicke zu. Etwas später brachte sie ihm Wasser in einer Muschel zum Trinken. Als er sich aber aufsetzte und das Wasser von ihr nehmen wollte, bekam sie Angst und verschüttete alles; dann begann sie zu weinen und wischte sich mit ihren langen weißgrauen Haarsträhnen die Augen.
Jetzt schaute sie ihm zu, wie er drunten am Strand Treibholz und Bretter von seinem angeschwemmten Boot mit der primitiven Steinaxt des Mannes und mit Zauberformeln zu einem neuen Boot formte. Was er hier tat, war weder eine Reparatur noch ein Bootbau, denn es fehlte ihm an richtigem Holz, und was er nötig hatte, mußte er durch Zauberkunst aufbringen. Doch die alte Frau blickte weniger auf seine Arbeit als auf ihn, mit dem gleichen sehnsüchtigen Ausdruck in den Augen. Nach einer Weile verschwand sie und kam mit einem Geschenk zurück: einer Handvoll Miesmuscheln, die sie an den Felsen gesammelt hatte. Ged aß sie so, wie die Alte sie ihm gab – roh und noch naß vom Meerwasser, und er dankte ihr für ihre Gabe. Das schien ihr Mut zu geben, und sie kehrte in die Hütte zurück und brachte ein Bündel, das in Lumpen gehüllt war. Während sie Ged nicht aus den Augen ließ, wickelte sie schüchtern das Ding aus und hielt es in die Höhe.
Es war ein Kinderkleid aus Seidenbrokat, ganz mit Perlen besetzt, befleckt vom Salz und vergilbt von den Jahren. Die Perlen des kleinen Oberteils waren in einem Muster gestickt, das Ged kannte: dem Doppelpfeil der göttlichen Brüder des Kargadreiches, und darüber war eine Königskrone.
Die alte Frau, die verrunzelt und schmutzig in einem schlecht genähten Seehundfell vor ihm stand, deutete auf das Kinderkleid, dann auf sich und lächelte, unschuldig und ohne Falsch wie ein Kind. Aus einer geheimen Tasche, die in den Rock des Kleides eingenäht war, zog sie einen kleinen Gegenstand hervor und hielt ihn Ged hin. Es war
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