Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan
vor sich?‹ fragte Kossil. Und dann – dann kam die braune Ziege und ging auf sie los …« Penthe konnte sich nicht mehr halten und lachte, bis ihr die Tränen in die Augen traten. »Und Munith ist mit der F-F-Flasche auf die Z-Z-Ziege losgegangen …«
Beide Mädchen hielten die Knie umklammert und schüttelten sich vor Lachen.
»Und Kossil drehte sich um und schrie: ›Was ist los? Was ist los?‹ Zu-zu-zu der Ziege …« Das Ende der Geschichte wurde vom Lachen erstickt. Penthe wischte sich schließlich über Augen und Nase und biß geistesabwesend in einen weiteren Apfel.
Das heftige Lachen hinterließ bei Arha ein Zittern. Sie beruhigte sich etwas, und nach einer Weile fragte sie: »Wie bist du eigentlich hierhergekommen, Penthe?«
»Ich war das sechste Mädchen, und mein Vater und meine Mutter konnten nicht so viele aufziehen und verheiraten. Als ich sieben Jahre alt war, brachten sie mich zum Tempel des Gottkönigs und haben mich ihm geweiht. Das war in Ossawa, aber ich nehme an, daß die dort zu viele Novizen hatten, denn sie haben mich bald darauf hierhergeschickt. Vielleicht haben sie auch gedacht, daß ich eine besonders gute Priesterin abgebe, aber darin haben sie sich getäuscht!« Penthe biß fröhlich in ihren Apfel und versuchte, ein reumütiges Gesicht zu machen.
»Wärst du lieber nicht Priesterin geworden?«
»Wäre ich lieber …? Natürlich! Ich hätte lieber einen Schweinehirten geheiratet und in einem Graben gehaust. Alles, nur nicht hierherkommen müssen und alle Tage meines Lebens lebendig begraben zu sein unter Weibern, in einer Wüste, in der alles abstirbt und in die nie jemand kommt! Aber was nützt es, was ich wünsche? Jetzt bin ich geweiht und sitze hier fest. Aber in meinem nächsten Leben, das kann ich dir sagen, in meinem nächsten Leben werde ich Tanzmädchen in Awabad! Das habe ich verdient!«
Arha blickte sie unverwandt aus dunklen Augen an. Das verstand sie nicht. Es kam ihr vor, als hätte sie Penthe noch nie zuvor gesehen, als würde sie Penthe das erste Mal erblicken, rund, voll Leben und Saft, wie einer von ihren goldenen Äpfeln, die so schön aussahen.
»Bedeutet dir der Tempel denn gar nichts?« fragte sie ziemlich brüsk.
Penthe, die gewöhnlich immer nachgab und leicht beeinflußbar war, ließ sich dieses Mal nicht aus dem Fahrwasser bringen. »Oh, ich weiß, daß deine Gebieter dir viel bedeuten«, sagte sie mit soviel Gleichgültigkeit in der Stimme, daß Arha entsetzt war. »Das ist irgendwie verständlich, weil du ihre vornehmste Dienerin bist. Du bist nicht einfach so geweiht worden, du bist eigens dafür geboren worden. Aber guck mich an! Soll ich wirklich so viel Ehrfurcht und so weiter für den Gottkönig aufbringen? Der ist schließlich auch bloß ein Mensch, selbst wenn er in einem Palast in Awabad wohnt, der fünf Meilen rundherum Golddächer hat. Er ist fast fünfzig Jahre alt und hat eine Glatze. Das kannst du auf jedem Denkmal sehen. Und ich wette, daß er seine Zehennägel genauso schneiden muß wie jeder andere auch. Natürlich ist er ein Gott, ich weiß. Aber ich glaube, er wird noch viel göttlicher werden, wenn er einmal tot ist.«
Arha stimmte mit Penthe überein, denn insgeheim war sie auch zu der Überzeugung gelangt, daß die göttlichen Herrscher von Kargad Emporkömmlinge waren, falsche Götter, welche die Gottesverehrung, die den ewigen Mächten zustand, an sich gerissen hatten. Aber hinter Penthes Worten lag etwas, das ganz neu für sie war, wovor sie sich fürchtete und womit sie nicht übereinstimmen konnte. Es war ihr nie zu Bewußtsein gekommen, wie verschieden Leute sein konnten, wie verschieden sie dem Leben gegenüberstehen konnten. Es kam ihr vor, als sähe sie einen ganz neuen Planeten, der riesig und dicht bevölkert vor ihrem Fenster hing, eine fremde Welt, in der Götter keine Rolle spielten. Die Kraft von Penthes Unglauben hatte sie erschüttert, und in ihrer Angst schlug sie zurück.
»Das stimmt. Meine Gebieter sind schon lange, lange tot, und es sind nie Menschen gewesen … Weißt du was, Penthe? Ich könnte dich für den Dienst der Gräber anfordern.« Sie sprach freundlich, als böte sie ihrer Freundin einen besseren Status an.
Die Röte verschwand aus Penthes Wangen.
»Ja«, sagte sie, »das könntest du tun. Aber ich … ich würde mich nicht sonderlich dafür eignen.«
»Warum nicht?«
»Ich habe Angst im Dunkeln«, gab Penthe leise zu.
Arha rümpfte die Nase und stieß einen kleinen
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