Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer
Dunkelheit verlieren, er konnte ihnen nur davonlaufen; lauf weiter, lauf geradeaus, führ sie weg von dem staubigen Zimmer, weit weg …
Sie hatten ihm seinen Mantel und sein Messer weggenommen. Er trug nur ein dünnes Hemd, und doch war ihm heiß. In seinem Kopf drehte sich alles, der Schmerz im Hinterkopf nahm zu, stach bei jedem Schritt mehr, doch er rannte, rannte immerfort … Der Beutel hinderte ihn am Laufen. Er schleuderte ihn von sich, und ein Goldstück flog heraus und klirrte auf die Steine. »Hier habt ihr euer Gold!« schrie er, seine Stimme war heiser, und er rang nach Atem. Er rannte weiter. Und plötzlich hörte die Straße auf. Keine Querstraße, keine Sterne waren mehr zu sehen; er war in eine Sackgasse geraten. Ohne seinen Lauf zu unterbrechen, wandte er sich um und lief seinen Verfolgern entgegen. Die Laterne schwang hin und her. Sie blendete ihn, doch er warf sich, mit einem trotzigen, herausfordernden Ruf auf den Lippen, gegen seine Feinde.
Eine Laterne pendelte hin und her. Ein schwaches Licht in einer großen grauen Leere. Lange hielt er seine Augen darauf gerichtet. Es wurde immer schwächer, und schließlich schob sich ein Schatten davor, und das Licht verschwand. Er trauerte ihm nach, vielleicht trauerte er um sich selbst, denn er wußte, daß er jetzt aufwachen mußte.
Die erloschene Laterne pendelte weiter an dem Mast, an dem sie festgemacht war. Das erste Licht des Tages lag auf dem Meer, das sie auf allen Seiten umgab. Eine Trommel schlug den Takt. Ruder knarrten, langsam, gleichmäßig; das Holz des Schiffes schrie und knirschte mit Hunderten kleiner Stimmen; ein Mann, im Bug stehend, rief den Männern hinter sich etwas zu. Die Männer, die mit Arren im hinteren Laderaum gefesselt beisammen saßen, schwiegen. Jeder von ihnen trug einen Eisengürtel und Handschellen, von beiden führten Eisenketten zum Nachbarn links und rechts; der Eisengürtel war außerdem noch durch eine Kette mit einem Eisenring an Deck verbunden, so daß die Männer sitzen oder kauern, aber nicht stehen oder liegen konnten. Sie waren sowieso so dicht zusammengepfercht, daß Liegen ausgeschlossen war. Arren befand sich an der vorderen Ecke an der Backbordseite. Wenn er den Kopf hochreckte, waren seine Augen auf einer Höhe mit dem Deck, das zwischen Laderaum und Reling nicht mehr als einen halben Meter breit war.
Von den Geschehnissen der vergangenen Nacht war ihm nur noch die Jagd durch die Straßen und die Sackgasse gegenwärtig. Er hatte sich gewehrt und war überwältigt, dann gefesselt und fortgetragen worden. Ein Mann mit einer merkwürdig flüsternden Stimme hatte gesprochen, dunkel erinnerte er sich an eine Art Schmiede, an ein loderndes Feuer in einer Esse … Es war alles verschwommen. Doch er wußte, daß er sich auf einem Sklavenschiff befand, daß er gefangen war und verkauft werden würde.
Es war ihm ziemlich gleichgültig. Er war viel zu durstig. Sein Körper war wund, und sein Kopf schmerzte. Die Strahlen der aufgehenden Sonne bohrten sich wie schmerzende Pfeile in seine Augen.
Später am Morgen bekam jeder von ihnen das Viertel eines Brotlaibes und durfte einen langen Schluck aus einer Lederflasche nehmen, die von einem Mann mit harten, scharfen Zügen an ihre Lippen gehalten wurde. Um seinen Hals trug er ein breites, mit Goldnägeln verziertes Lederhalsband, wie ein Hundehalsband sah es aus, und als Arren ihn sprechen hörte, erkannte er die seltsam schwache, flüsternde Stimme.
Der Trunk und die Nahrung verminderten sein körperliches Unbehagen für eine Weile; er konnte wieder klar denken. Zum ersten Mal schaute er die Gesichter seiner Leidensgenossen an, der drei, die neben, und der vier, die hinter ihm saßen. Einige hatten die Knie hochgezogen und ließen den Kopf darauf ruhen; einer war vornübergefallen und hing leblos an seinen Ketten, vielleicht war er seekrank, vielleicht hatte man ihm Drogen gegeben. Neben Arren saß ein ungefähr zwanzigjähriger Bursche mit einem breiten, flachen Gesicht. »Wo bringen sie uns hin?« fragte Arren.
Der Bursche blickte ihn an – ihre Gesichter waren nur ein paar Zentimeter voneinander entfernt – und grinste, dann zuckte er die Achseln, und Arren nahm an, daß er es nicht wußte. Doch dann bewegte er seine gefesselten Hände und versuchte ihm etwas zu zeigen; er öffnete seinen noch grinsenden Mund weit – und wo eine Zunge hätte sein sollen, war nur noch ein schwarzer Stummel.
»Wahrscheinlich nach Schoul«, sagte ein Mann hinter Arren,
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