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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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ausgewachsener Mann, der Schädel eines Menschen bekrönte ihn und starrte aus hohlen Augen auf die Hügel Selidors.
    Hier hielten sie an, und während sie zum Schädel hinaufblickten, trat ein Mann unter das Tor. Er trug eine Rüstung aus vergoldeter Bronze, wie man sie vordem getragen hatte; sie war zerbeult von Schlägen der Streitaxt, und die mit Edelsteinen besetzte Schwertscheide war leer. Sein Gesicht war streng, mit geschwungenen schwarzen Brauen und einer schmalen Nase; seine Augen schauten dunkel, aufmerksam und tieftraurig. An seinen Armen, der Kehle und an einer Seite klafften tödliche Wunden, doch kein Blut floß mehr aus ihnen. Er stand aufrecht und schweigend und blickte sie unverwandt an.
    Ged machte einen Schritt auf ihn zu. Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden wurde offenbar, als sie sich gegenüberstanden.
    »Du bist Erreth-Akbe«, sagte Ged. Der andere sah ihn an, dann nickte er einmal, doch er sprach kein Wort.
    »Selbst du, selbst du mußt seinem Willen folgen.« Wut lag in Geds Stimme. »Du, unser Herr, der Beste, der Kühnste von uns allen, ruhe in Ehren und im Tode!« Und er hob seine Arme hoch, führte sie mit einer ausladenden Geste wieder zusammen und wiederholte die Worte, die er schon zur Totenschar gesprochen hatte. Seine Hände hinterließen ganz kurz eine breite, helle Bahn in der Luft. Als sie verblaßte, war auch der Mann in seiner Rüstung verschwunden, und nur die Sonne lag schimmernd auf dem Sand, wo er gestanden hatte.
    Ged schlug mit seinem Stab gegen das Haus aus Gebein, und es verschwand. Nichts blieb zurück außer einer mächtigen Rippe, die aus dem Sand emporragte.
    Er wandte sich zu Orm Embar: »Ist es hier, Orm Embar? Ist das der Ort?«
    Der Drache öffnete seinen Rachen weit und zischte einmal laut und scharf.
    »Hier, am fernsten Ufer dieser Welt. Das ist gut!« Dann erhob er seinen Stab aus schwarzem Erlenholz in der linken Hand und öffnete die Arme weit zur Geste der Invokation. Er hob an zu sprechen. Und obwohl er in der Ursprache redete, verstand ihn Arren endlich, wie es alle, die diese Invokation hören, tun, denn sie hat über alle Macht. »Ich gebiete dir jetzt, mein Feind, hier vor meinen Augen als Mensch zu erscheinen, und ich binde dich mit dem Wort, das nicht gesprochen wird, bis das Ende aller Zeiten nahe ist!«
    Doch dort, wo der Name des Gerufenen hätte genannt werden sollen, hatte Ged nur ›mein Feind‹ gerufen.
    Stille trat ein. Selbst das Meer verstummte. Es kam Arren vor, als ob die Sonne schwächer und trüber schiene, obwohl sie hoch am klaren Himmel stand. Dunkle Schatten sammelten sich am Strand, der aussah, als läge er unter rauchfarbenem Glas. Unmittelbar vor Ged verdichtete sich die Dunkelheit am stärksten, und es war schwierig, dort etwas zu erkennen. Ein Etwas erschien darin, das von keinem Licht erfaßt werden konnte, das nicht Form noch Farbe hatte.
    Dann trat ein Mann daraus hervor. Es war der gleiche Mann, den sie auf der Düne gesehen hatten, schwarzhaarig und langarmig, geschmeidig und groß. In seiner Hand hielt er jetzt eine lange Klinge aus Stahl, die bis zum Griff mit Runen bedeckt war. Er neigte sie gegen Ged, während er ihm gegenübertrat. Doch der Blick seiner Augen war merkwürdig, so als sei er von der Sonne geblendet und könne nichts sehen.
    »Ich komme«, sagte er, »weil ich es will, und ich komme, wie es mir gefällt. Du, Erzmagier, kannst mir nicht gebieten. Ich bin kein Schatten. Ich lebe. Nur ich lebe! Du glaubst, du lebst, doch du stirbst, du stirbst. Weißt du, was ich in der Hand halte? Es ist der Stab des Grauen Magiers, der Nereger zum Schweigen gebracht hat, des Meisters meiner Kunst. Doch jetzt bin ich der Meister. Und ich habe es satt, Spiele mit dir zu spielen.« Bei diesen Worten streckte er die stählerne Klinge gegen Ged, der wie angewurzelt stand, als ob er sich nicht rühren und nicht reden könne. Arren stand einen Schritt hinter ihm, und sein ganzer Wille war darauf gerichtet, sich zu bewegen, doch er konnte nicht, konnte nicht einmal mit der Hand nach seiner Klinge greifen, und die Stimme war ihm in der Kehle verstummt.
    Doch über Ged und Arren, über ihre Köpfe hinweg, riesig und feurig, setzte mit einem Sprung der mächtige Drachen und fiel mit seinem ganzen Gewicht auf den Mann, die magische Klinge bohrte sich in ihrer vollen Länge in die schuppige Brust; der Mann wurde unter dem Gewicht des gewaltigen Leibes begraben und verbrannte.
    Vom Sande sich erhebend stand der Drache

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