Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
Vom Netzwerk:
den Hügeln des Lebens wandern, obgleich sie nicht vermögen, auch nur den geringsten Grashalm unter ihren Füßen zu bewegen.«
    »Ist er … ist er denn auch tot?«
    Ged schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Die Toten können den Toten nicht gebieten, ins Leben zurückzukehren. Nein, er besitzt die Macht eines lebendigen Menschen, noch mehr … Doch wer geglaubt hat, ihm folgen zu können, der hat den kürzeren gezogen. Er behält seine Macht für sich allein. Er spielt den König unter den Toten, und nicht nur unter den Toten … Doch das hier waren nur Schatten.«
    »Ich weiß nicht, warum ich mich so vor ihnen gefürchtet habe«, sagte Arren beschämt.
    »Du fürchtest sie, weil du den Tod fürchtest, und das tust du mit Recht: denn der Tod ist furchtbar und muß gefürchtet werden«, sagte der Magier. Er legte neues Holz auf und blies auf die Kohlen, die unter der Asche verborgen lagen. Eine kleine Flamme sprang aus den Zweigen des Reisigs empor, und Arren war dankbar für das Licht. »Und das Leben ist auch furchtbar«, sagte Ged, »und es muß gefürchtet und gepriesen werden.«
    Beide lehnten sich zurück und zogen ihre Umhänge enger um sich. Sie schwiegen beide. Dann sprach Ged, und seine Stimme war ernst. »Lebannen, ich weiß nicht, wie lange er uns hier mit seiner Erscheinung und mit den Schatten narren wird. Doch du weißt, wohin er letzten Endes gehen wird.«
    »In das Land des ewigen Dunkels.«
    »Ja, zu ihnen.«
    »Ich habe sie jetzt gesehen. Ich werde mit Ihnen gehen.«
    »Ist es der Glaube an mich, der dich bewegt? Du kannst meiner Liebe gewiß sein, doch verlaß dich nicht auf meine Stärke. Ich glaube, mein Gegner ist mir gewachsen.«
    »Ich werde mit Ihnen gehen.«
    Darauf erwiderte Ged: »Du wirst zum Mann an den Toren des Todes.« Und danach wiederholte er das Wort oder den Namen, mit dem der Drache ihn zweimal angeredet hatte; er sagte ihn ganz leise: »Agni – Agni Lebannen.«
    Sie sprachen nicht weiter miteinander, und nach einer Weile kehrte der Schlaf zurück, und sie legten sich neben das kleine, schnell niederbrennende Feuer nieder.
    Am nächsten Morgen marschierten sie in nordwestlicher Richtung weiter landeinwärts. Dies war Arrens Entschluß gewesen, nicht der Geds, der gesagt hatte: »Wähle du den Weg, Junge, jeder Weg ist mir recht.« Sie beeilten sich nicht, denn sie hatten kein Ziel, sie warteten auf ein Lebenszeichen von Orm Embar. Sie folgten der niedrigsten, am weitesten vorgelagerten Hügelkette in Sichtweite des Ozeans. Das Gras war trocken und kurzhalmig und bewegte sich unaufhörlich im Wind. Die Hügel reckten sich goldfarben rechts von ihnen empor. Links lagen die sumpfigen, salzigen Marsche der Küste und dahinter das Meer des Westens. Einmal erspähten sie, ganz weit im Süden, Schwäne. Doch sonst sahen sie keine lebendige Kreatur. Das Warten und ziellose Wandern, das Bevorstehende, Schwere, nagte an Arren. Die Ungeduld wurde zur stumpfen Wut, und nach stundenlangem Schweigen rief er aus: »Das Land hier ist so tot wie der Tod selbst!«
    »Sag das nicht!« unterbrach ihn der Magier erschrocken. Er schritt weiter voran, dann fügte er, mit veränderter Stimme, hinzu: »Schau dir das Land an! Schau dich um! Das ist dein Königreich, das Königreich des Lebens. Das hier ist deine Unsterblichkeit. Schau auf die Hügel, die sterblichen Hügel! Sie bestehen nicht in alle Ewigkeit. Die Hügel sind bedeckt mit Gras, das wächst und Nahrung zu sich nimmt, der Bach ist gefüllt mit sprudelndem Wasser … Auf der ganzen Welt, in all den Welten, in all den Zeiten gibt es keinen Bach, der einem dieser Bäche hier gleicht, die kalt aus dem verborgenen Schoß der Erde quellen, die im Licht der Sonne und in der Dunkelheit dem Meer zueilen. Tief sind die Quellen des Seins, tiefer als das Leben, tiefer als der Tod …«
    Er hielt inne, doch in seinen Augen, die auf Arren und auf den sonnigen Hügeln ruhten, lag eine tiefe, wortlose, schmerzvolle Liebe. Und Arren erkannte dies, und als er es wahrnahm, sah er Ged zum erstenmal ganz so, wie er wirklich war.
    »Ich finde nicht die Worte, um das auszudrücken, was ich meine«, sagte Ged unglücklich.
    Doch Arren erinnerte sich an die erste Stunde im Brunnenhof, an den Mann, der am plätschernden Brunnen gekniet hatte und eine Freude, so klar wie das Wasser damals, wallte in ihm auf. Er schaute seinem Gefährten in die Augen und sagte: »Ich habe meine Liebe dem gegeben, der wert ist, sie zu besitzen. Ist das nicht das Königreich

Weitere Kostenlose Bücher