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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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soviel verstehen muß, daß man seine Arbeit zu tun hat und imstande ist, sie zu tun. Das sind die Freude, der Glanz und alles. Und wenn man die Arbeit nicht tun kann oder sie einem weggenommen wird, welchen Sinn hat dann das Ganze? Man muß etwas haben …«
    Die Alte lauschte und nickte, als vernehme sie Worte der Weisheit, sagte jedoch nach einer kurzen Pause: »Für einen alten Mann ist es sicherlich merkwürdig, ein fünfzehnjähriger Junge zu sein.«
    Tenar hätte beinahe gefragt: ›Wovon sprichst du?‹ Aber etwas hieß sie schweigen. Sie merkte, daß sie gelauscht hatte, um zu hören, wie Ged von seinen Wanderungen am Berg zurückkam, daß sie dem Klang seiner Stimme lauschte, daß ihr Körper seine Abwesenheit nicht wahrhaben wollte. Sie sah plötzlich zu der Hexe hinüber, einem formlosen schwarzen Klumpen, der auf Ogions Stuhl neben dem leeren Herd saß.
    »Ach!« seufzte sie, während ihr unzählige Gedanken gleichzeitig durch den Kopf schossen.
    »Deshalb«, sagte sie. »Deshalb habe ich nie …«
    Nach längerem Schweigen fragte sie: »Tun sie … tun die Zauberer … ist es ein Zauber?«
    »Natürlich, natürlich, Schätzchen«, antwortete die Hexe. »Sie verzaubern sich selbst. Manche behaupten, daß sie einen Handel abschließen, wie eine rückgängig gemachte Heirat mit Gelübden und allem, und dann ihre Macht erhalten. Aber für mich klingt das falsch, denn mit den Alten Mächten ein Geschäft abzuschließen, ist mehr, als eine echte Hexe vermag. Und der alte Magier erzählte mir, daß sie so etwas nicht tun. Obwohl ich einige Hexen kenne, die es getan haben und dadurch keinen großen Schaden erlitten.«
    »Diejenigen, die mich erzogen, taten es, indem sie Jungfräulichkeit versprachen.«
    »Ach ja, keine Männer, hast du mir erzählt, und sie waren genauso. Schrecklich!«
    »Aber warum, aber warum – warum habe ich nie nachgedacht …«
    Die Hexe lachte laut. »Weil das ihre Macht ist, Schätzchen. Du denkst nicht. Du kannst es nicht. Und sie tun es auch nicht, sobald sie den Zauber gewirkt haben. Wie könnten sie? Angesichts ihrer Macht? Es ist nicht möglich, nicht wahr, nicht möglich. Man bekommt nur, wenn man genausoviel hergibt. Das gilt für alle. Das wissen die Zauberer, die Mächtigen, besser als jeder andere. Aber es ist für einen Mann unangenehm, kein Mann zu sein, auch wenn er die Sonne vom Himmel holen kann. Deshalb verdrängen sie es mit dem Fesselungszauber aus ihrem Geist. Und sie halten sich daran. Nicht einmal in der schlechten Zeit, in der wir jetzt leben, da Zaubersprüche danebengehen und das alles, habe ich je von einem Zauberer gehört, der diesen Zauber gebrochen und seine Macht für die Lust seines Körpers genutzt hätte. Selbst der Schlechteste hätte Angst davor. Natürlich gibt es solche, die Illusionen beschwören, aber sie betrügen sich nur selbst. Es gibt unbedeutende Hexer von geringem Ansehen, Pfuscher und solche Burschen, die es bei Landfrauen mit Verführungszaubern versuchen, aber soweit ich sehe, sind diese Zauber nicht sehr mächtig. Eine Macht ist so groß wie die andere, und jede geht ihren eigenen Weg. So sehe ich es.«
    Tenar dachte lange nach. Schließlich sagte sie: »Sie sondern sich ab.«
    »Ja. Das muß ein Zauberer tun.«
    »Aber du tust es nicht.«
    »Ich? Ich bin eine alte Hexe, Schätzchen.«
    »Wie alt?«
    Als Tantchen Moor nach einer Minute wieder sprach, schwang in der Dunkelheit etwas wie Lachen in ihrer Stimme mit: »Alt genug, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten.«
    »Aber du hast gesagt … Du warst nicht keusch.«
    »Was ist das, Schätzchen?«
    »Wie die Zauberer.«
    »O nein. Nein, nein! Ich war nie besonders hübsch, aber ich hatte eine Art, sie anzusehen … Ich verhexte sie nicht, du weißt, Schätzchen, was ich meine … Es gibt eine Art, wie man sie ansieht, und er kam wieder, so sicher wie eine Krähe krächzt, nach einem Tag oder nach zwei oder drei kam er wieder bei mir vorbei – ›Ich brauche eine Salbe für meinen räudigen Hund‹, ›Ich brauche einen Tee für meine kranke Großmutter‹ –, aber ich wußte, was sie brauchten, und wenn ich sie wirklich mochte, bekamen sie es vielleicht. Aus Liebe, aus Liebe – ich bin nicht eine von denen, du weißt schon, obwohl es manche Hexen vielleicht tun, aber sie sind eine Schande für die Zunft, finde ich. Ich übe meine Kunst gegen Bezahlung aus, aber mein Vergnügen nehme ich mir aus Liebe, das ist meine Meinung. Es war nicht immer nur ein Vergnügen. Ich war

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