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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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Teil des Wassers gewaschen, das sie erhitzte, um die Kleidung zu waschen, denn sie hatte beschlossen, an diesem Tag große Wäsche abzuhalten; Ged war fort und ihr Ruf in Sicherheit. Sie trocknete die Haare in der wärmenden Sonne und bürstete sie. An dem heißen windigen Morgen erzeugte die Bürste Funken, die an den wehenden Enden des Haars knisterten.
    Therru stellte sich hinter sie und sah zu. Tenar drehte sich zu ihr um und merkte, daß sie vor Konzentration beinahe zitterte.
    »Was ist, Vögelchen?«
    »Das Feuer fliegt heraus«, antwortete das Kind ängstlich oder jubelnd. »Über den ganzen Himmel!«
    »Es sind nur die Funken aus meinem Haar«, erklärte Tenar ein wenig verblüfft. Therru lächelte, und Tenar wußte nicht, ob sie das Kind jemals lächeln gesehen hatte. Therru streckte beide Hände aus, die unversehrte und die verbrannte Hand, als wolle sie etwas, das um Tenars offene schwebende Haare flog, berühren und ihm folgen. »Die Feuer fliegen alle heraus«, wiederholte sie und lachte.
    In diesem Augenblick fragte sich Tenar zum erstenmal, wie Therru sie – die Welt – sah, und wußte, daß sie es nicht wußte: daß sie nicht wissen konnte, was man mit einem Auge sieht, das verbrannt ist. Ogions Worte – ›Sie werden sie fürchten‹ – fielen ihr ein; aber sie empfand keine Angst vor dem Kind. Statt dessen bürstete sie das Haar noch einmal kräftig durch, damit die Funken flogen, und vernahm wieder das leise, heisere, entzückte Lachen.
    Sie wusch die Laken, die Tischtücher, ihre Hemden, ihr zweites Kleid und Therrus Kleider und legte alles (nachdem sie sich vergewissert hatte, daß sich die Ziegen auf der eingezäunten Weide befanden) auf die Wiese, damit es im Gras trocknete; sie beschwerte die Wäsche mit Steinen, denn der Wind war böig und spätsommerlich stürmisch.
    Therru war gewachsen. Sie war für ihr Alter – sie mußte etwa acht Jahre alt sein – noch immer sehr klein und mager, aber in den letzten beiden Monaten, als ihre Verletzungen endlich geheilt waren und sie schmerzfrei wurde, war sie mehr herumgelaufen und hatte mehr gegessen. Sie wuchs rasch aus ihren Kleidern heraus, abgelegten Sachen von Lerchs Jüngster, einer Fünfjährigen.
    Tenar überlegte, daß sie ins Dorf gehen, Weber Fan besuchen und ihn fragen sollte, ob er ihr im Austausch für das Spülicht, das sie ihm für seine Schweine geschickt hatte, ein oder zwei Stoffstücke geben würde. Sie hatte Lust, etwas für Therru zu nähen. Und sie wollte auch gern den alten Fan besuchen. Ogions Tod und Geds Krankheit hatten sie vom Dorf und den Leuten ferngehalten, die sie dort gekannt hatte. Die beiden Männer hatten sie wie immer weggezogen von dem, was sie konnte, was sie tun konnte, von der Welt, die sie für ihr Leben gewählt hatte – keiner Welt der Könige und Königinnen, der Großmächte und Herrschaftsbereiche, der hohen Künste, der Reisen und Abenteuer (das dachte sie, während sie sich vergewisserte, daß Therru bei Heide war, und in den Ort aufbrach), sondern einer Welt der einfachen Leute, die einfache Dinge taten, wie heiraten, Kinder aufziehen, den Boden bebauen, nähen und Wäsche waschen. Sie dachte fast rachsüchtig daran, so als schicke sie den Gedanken Ged hinterher, der jetzt zweifellos auf halbem Weg ins Mitteltal war. Sie stellte sich ihn auf der Straße in der Nähe des Tals vor, in dem sie und Therru geschlafen hatten. Sie stellte sich den schlanken Mann mit dem aschblonden Haar vor, wie er allein und schweigend wanderte, einen halben Laib Hexenbrot in der Tasche und eine Last Trübsal im Herzen.
    »Es ist vielleicht Zeit, daß du es herausfindest«, sandte sie ihm zu. »Zeit zu lernen, daß du auf Rok nicht alles gelernt hast!« Während sie ihm so im Geist eine Strafpredigt hielt, sah sie ein anderes Bild vor sich: Sie sah Ged in der Nähe eines der Männer, die auf der Straße gestanden und auf sie und Therru gewartet hatten. Sie sagte unwillkürlich: »Sei vorsichtig, Ged!« Sie fürchtete um ihn, denn er trug nicht einmal einen Stock. Sie sah nicht den großen Kerl mit den haarigen Lippen, sondern einen anderen von ihnen, einen jüngeren Mann mit Ledermütze, den Mann, der Therru unverwandt angestarrt hatte.
    Sie blickte auf und sah die kleine Hütte neben Fans Haus, in der sie gewohnt hatte, als sie hier lebte. Zwischen der Hütte und ihr ging ein Mann vorbei. Es war der Mann, an den sie sich erinnerte, den sie vor sich gesehen hatte, der Mann mit der Ledermütze. Er ging an der Hütte,

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