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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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aufmerksam.
    Sie fügte zwei Worte hinzu:
    heute nacht
    »Wo ist Heide?« fragte sie das Kind, während sie das Papier zusammenfaltete. »Sie soll dies zu Tantchen Moors Haus bringen.«
    Sie sehnte sich danach, selbst hinzugehen, um Sperber zu sehen, wagte es aber nicht, denn sie befürchtete, daß die Männer sie beobachteten, um sich von ihr zu ihm führen zu lassen.
    »Ich gehe«, flüsterte Therru.
    Tenar sah sie scharf an.
    »Du mußt allein gehen, Therru. Durch das Dorf.«
    Das Kind nickte.
    »Gib es nur ihm.«
    Sie nickte erneut.
    Tenar steckte das Papier in Therrus Tasche, drückte sie an sich, küßte sie, ließ sie gehen. Therru ging; jetzt duckte und schlich sie nicht, sondern rannte, ohne zu zögern, flog so, fand Tenar, während sie zusah, wie das Kind jenseits des Türrahmens im Abendlicht verschwand, wie ein Vogel flog, ein Drache, frei.

Falken
    THERRU KAM BALD mit Sperbers Antwort zurück: »Er hat gesagt, daß er heute nacht aufbricht.«
    Tenar nahm es befriedigt zur Kenntnis, erleichtert, daß er ihren Plan angenommen hatte und so den Boten und den Botschaften, die er fürchtete, entkommen würde. Erst nachdem sie Heide und Therru das Froschschenkel-Festessen vorgesetzt, Therru zu Bett gebracht und sie in Schlaf gesungen hatte und ohne Lampe oder Feuerschein auf einem Stuhl saß, wurde ihr das Herz schwer. Er war fort. Er war nicht stark, sondern verwirrt und unsicher, er brauchte Freunde; sie hatte ihn von den Menschen fortgeschickt, die seine Freunde waren, und von jenen, die es sein wollten. Er war fort, und sie mußte bleiben, um die Hunde von seiner Fährte abzulenken, um wenigstens zu erfahren, ob sie in Gont blieben oder nach Havnor zurückkehrten.
    Mit der Zeit hielt sie seine Panik und ihr Eingehen darauf für überaus unvernünftig, und sie hielt es für genauso unvernünftig wie unwahrscheinlich, daß er tatsächlich aufbrechen würde. Er würde seinem Verstand folgen und sich einfach im Haus der Hexe verstecken, dem letzten Ort auf Erdsee, wo ein König einen Obersten Magier suchen würde. Es wäre viel besser, wenn er hierbliebe, bis die Männer des Königs fort waren. Dann konnte er in Ogions Haus zurückkehren, in das er gehörte. Und es würde so weitergehen wie bisher, sie würde für ihn sorgen, bis er seine Kraft wiedererlangte, und er würde ihr seine teure Gesellschaft schenken.
    In der Tür hob sich ein Schatten von den Sternen ab. »Schschsch! Wach?« Tantchen Moor kam herein. »Er ist fort«, berichtete sie verschwörerisch, frohlockend. »Ist über die alte Waldstraße gegangen. Sagt, daß er morgen die Abkürzung an Eichenbrunn vorbei zum Weg nach dem Mitteltal nehmen wird.«
    »Gut«, meinte Tenar.
    Die Alte war kühner als sonst und setzte sich unaufgefordert. »Ich habe ihm einen Laib Brot und etwas Käse auf den Weg mitgegeben.«
    »Danke, Tantchen Moor. Das war freundlich von dir.«
    »Mistress Goha.« In der Dunkelheit verfiel Tantchen Moor in den Singsang ihres Psalmodierens und ihrer Zaubersprüche. »Ich wollte dir etwas sagen, Schätzchen, ohne über das hinauszugehen, was ich wissen kann, denn ich weiß, daß du unter hochstehenden Persönlichkeiten gelebt hast und eine von ihnen warst, und wenn ich daran denke, versiegelt es mir den Mund. Und doch gibt es Dinge, die du nicht erfahren konntest, auch wenn du die Runen und die Alte Sprache gelernt hast und der Weise und die fremden Länder dir vieles beigebracht haben.«
    »Das stimmt.«
    »Also gut. Als wir darüber sprachen, daß eine Hexe die andere, und ein Mächtiger den anderen erkennt, sagte ich – über den, der jetzt fort ist –, daß er, wer immer er gewesen war, jetzt kein Magier ist, und du hast es trotzdem bestritten … Aber ich hatte recht, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Ich wußte es.«
    »Er hat es selbst gesagt.«
    »Natürlich. Weder lügt er, noch behauptet er, daß dies das und das dies ist, bis einem der Kopf brummt, das muß ich ihm lassen. Er zäumt auch nicht das Pferd beim Schwanz auf. Aber ich sage frei heraus, ich bin froh, daß er fort ist, denn es war nicht möglich, es war nicht mehr möglich, wenn es jetzt anders um ihn bestellt ist und so weiter.«
    Bis auf den Vergleich mit dem verkehrt aufgezäumten Pferd hatte Tenar keine Ahnung, wovon die Hexe sprach. »Ich weiß nicht, warum er solche Angst hat«, bemerkte sie. »Nun ja, ich weiß es zum Teil, doch ich begreife nicht, warum er sich so sehr schämt. Er meint, er hätte lieber sterben sollen. Ich weiß, daß man vom Leben nur

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