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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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lange Zeit, jahrelang, nach einem Mann verrückt, er war ein gutaussehender Mann, aber er hatte ein hartes, kaltes Herz. Er ist längst tot. Vater des Townsend, der zurückgekommen ist, um hier zu leben, du kennst ihn. Ich hatte mein Herz an diesen Mann verloren, und ich benützte meine Kunst, ich habe eine Menge Zauber über ihn gewirkt, aber alles war vergebens. Alles umsonst. In einer Rübe fließt kein Blut … Und ich bin vor allem deshalb nach Re Albi gekommen, als ich ein Mädchen war, weil ich durch einen Mann in Gonthafen in Schwierigkeiten geraten war. Davon darf ich nicht sprechen, denn es waren reiche, mächtige Leute. Sie hatten die Macht, nicht ich! Sie wollten nicht, daß sich ihr Sohn mit einem gewöhnlichen Mädchen wie mir einließ, nannten mich dreckige Schlampe, und sie hätten mich aus dem Weg geräumt, wie man eine Katze umbringt, wenn ich nicht hierhergeflüchtet wäre. Aber ich mochte den Jungen mit den runden glatten Armen und Beinen und den großen dunklen Augen. Ich sehe ihn nach all den Jahren deutlich vor mir …«
    Sie saßen lange Zeit schweigend in der Dunkelheit.
    »Mußtest du deine Macht aufgeben, wenn du einen Mann hattest?«
    »Kein Stückchen davon«, erwiderte die Hexe selbstgefällig.
    »Aber du hast behauptet, daß man nur bekommt, wenn man gibt. Ist es denn bei Männern und Frauen verschieden?«
    »Was ist an ihnen nicht verschieden, Schätzchen?«
    »Ich weiß nicht recht«, meinte Tenar. »Mir kommt es so vor, daß wir die meisten Unterschiede erfinden und uns dann darüber beklagen. Ich sehe nicht ein, warum die Kunst der Magie, warum Macht für einen Hexer etwas anderes sein sollte als für eine Hexe. Es sei denn, die Macht an sich ist anders. Oder die Kunst.«
    »Der Mann gibt, die Frau empfängt, Schätzchen.«
    Tenar schwieg, war jedoch nicht zufriedengestellt.
    »Unsere Macht ist im Vergleich zu der ihren nur scheinbar klein«, meinte die Hexe. »Aber sie reicht tief. Sie besteht nur aus Wurzeln. Sie ist wie altes Brombeerdickicht. Die Macht eines Zauberers ist vielleicht wie eine Fichte, groß, hoch und prächtig, aber ein Sturm wirft sie um. Nichts kann ein Brombeerdickicht töten.« Sie kicherte gackernd, weil ihr der Vergleich gefiel. »Also gut«, meinte sie dann fröhlich, »wie ich sagte, ist es wahrscheinlich gut, daß er aus dem Weg und auf dem Weg ist, damit die Leute im Ort nicht zu reden beginnen.«
    »Zu reden?«
    »Du bist eine ehrbare Frau, Schätzchen, und der Ruf einer Frau ist ihr Reichtum.«
    »Ihr Reichtum«, wiederholte Tenar ausdruckslos und sagte es noch einmal: »Ihr Reichtum. Ihr Schatz. Ihr Hort. Ihr Wert …« Sie stand auf, weil sie nicht stillsitzen konnte, streckte Rücken und Arme. »Wie die Drachen, die Höhlen fanden, die Festungen für ihren Schatz, ihren Hort bauten, um sicher zu sein, um auf ihrem Schatz zu schlafen, um ihr Schatz zu sein. Nimm, nimm und gib nie!«
    »Den Wert eines guten Rufes erkennt man, wenn man ihn verloren hat«, stellte die Hexe trocken fest. »Er ist nicht alles. Aber es ist schwer, ihn durch etwas anderes zu ersetzen.«
    »Würdest du darauf verzichten, eine Hexe zu sein, um ehrbar zu werden?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete die Alte nach einer Weile nachdenklich. »Ich weiß nicht, ob ich weiß, wie man ehrbar ist. Ich habe vielleicht die eine Gabe, aber nicht die andere.«
    Tenar trat zu ihr und ergriff ihre Hände. Tantchen Moor, die diese Geste überraschte, stand auf und wich ein wenig zurück; aber Tenar zog sie an sich und küßte sie auf die Wange.
    Die Ältere hob die Hand und berührte schüchtern Tenars Haare, eine Liebkosung, wie Ogion es getan hatte. Dann zog sie sich zurück, murmelte, daß sie nach Hause gehen müsse, trat zur Tür und fragte von dort aus: »Oder wäre es dir lieber, wenn ich bleibe, weil die Fremden in der Gegend sind?«
    »Geh nur«, antwortete Tenar. »Ich bin an Fremde gewöhnt.«
    Als sie in dieser Nacht am Einschlafen war, gelangte sie wieder in die großen Tiefen von Wind und Licht, aber das Licht war rauchig, rot, orangerot und bernsteinfarben, als wäre die Luft Feuer. Sie war und war nicht in diesem Element; sie flog mit dem Wind und war der Wind, das Wehen des Windes, die Kraft, die frei war; und keine Stimme rief sie.
    Am Morgen saß sie auf der Türschwelle und bürstete sich die Haare. Sie war nicht blond wie viele kargische Menschen; ihre Haut war blaß, aber ihr Haar dunkel. Es war noch immer dunkel, kaum ein grauer Faden darin. Sie hatte es mit einem

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