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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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Hund haben. Aber dies ist Ogions Haus! Niemand käme hierher, um etwas Böses zu tun. Doch Ogion ist tot, tot, begraben zwischen den Wurzeln des Baums am Waldrand. Niemand wird kommen. Sperber ist fort, davongelaufen. Er ist nicht einmal mehr Sperber, ein Schattenmann, für niemanden etwas nütze, ein Toter, der gezwungen ist, am Leben zu bleiben. Und ich habe keine Kraft, das Gute lebt nicht in mir. Ich sage das Wort des Erschaffens, und es stirbt mir im Mund, ist bedeutungslos, ein Stein. Ich bin eine Frau, eine alte Frau, schwach, dumm. Alles, was ich tue, ist falsch. Alles, was ich berühre, verwandelt sich in Asche, Schatten, Stein. Ich bin das Geschöpf der Dunkelheit, angeschwollen vor Dunkelheit. Nur Feuer kann mich reinigen. Nur Feuer kann mich verzehren, kann mich verzehren wie …
    Sie setzte sich auf und rief laut in ihrer Sprache: »Der Fluch sei abgewendet, und wende dich ab!« Dann streckte sie den rechten Arm aus und hinunter und zeigte genau auf die geschlossene Tür. Sie sprang aus dem Bett, eilte zur Tür, stieß sie auf und sagte in die bewölkte Nacht hinein: »Du kommst zu spät, Aspen. Ich bin vor langer Zeit verzehrt worden. Geh und säubere dein eigenes Haus!«
    Es gab keine Antwort, kein Geräusch, nur einen schwachen, sauren, üblen Geruch nach Verbranntem – versengtem Stoff oder Haar.
    Sie schloß die Tür, lehnte Ogions Stab dagegen und sah nach, ob Therru noch immer schlief. In dieser Nacht schlief Tenar nicht.
    Am Morgen nahm sie Therru ins Dorf mit, um Fan zu fragen, ob er das Garn wolle, das sie gesponnen hatten. Es war ein Vorwand, um das Haus zu verlassen und sich eine Zeitlang unter Menschen aufzuhalten. Der alte Mann wollte das Garn gern verweben, und sie unterhielten sich einige Minuten lang unter dem großen bemalten Fächer, während das Lehrmädchen mürrisch schaute und grimmig am Webstuhl klapperte. Als Tenar und Therru Fans Haus verließen, verschwand jemand um die Ecke der kleinen Hütte, in der sie gelebt hatte. Etwas, Wespen oder Bienen, stachen Tenar in Nacken und Kopf, und ringsum prasselte Regen, ein Hagelschauer, aber am Himmel standen keine Wolken – Steine. Sie sah, wie die Steine auf die Erde fielen. Therru war erschrocken und verwirrt stehengeblieben und sah sich um. Zwei Jungen rannten hinter der Hütte davon, versteckten sich halb, zeigten sich halb, riefen einander etwas zu, lachten.
    »Komm!« forderte Tenar sie ruhig auf, und sie kehrten zu Ogions Haus zurück.
    Tenar zitterte, und das Zittern wurde schlimmer, während sie gingen. Sie versuchte es vor Therru zu verbergen, die verwirrt, aber nicht erschrocken aussah; sie hatte nicht begriffen, was geschehen war.
    Sobald sie das Haus betraten, wußte Tenar, daß jemand hier gewesen war, während sie im Dorf waren. Es roch nach verbranntem Fleisch und Haaren. Die Tagesdecke ihres Bettes war verschoben worden.
    Als sie überlegen wollte, was sie tun sollte, wußte sie, daß ein Zauber auf ihr lag. Er war gewirkt worden und hatte auf sie gewartet. Sie konnte nicht aufhören zu zittern, und ihr Geist war verwirrt; sie reagierte langsam und war nicht imstande, einen Entschluß zu fassen. Sie konnte nicht denken. Sie hatte das Wort genannt, den wahren Namen des Steins, und er war nach ihr geschleudert worden, in ihr Gesicht – in das Gesicht des Bösen, das abscheuliche Gesicht. Sie hatte gewagt zu sprechen. Sie konnte nicht sprechen.
    Sie dachte in ihrer Sprache: Ich kann nicht auf hardisch denken. Ich darf es nicht.
    Sie konnte auf kargisch denken. Nicht schnell. Es war, als müsse sie das Mädchen Arha bitten, das sie vor langer Zeit gewesen war, aus der Dunkelheit herauszutreten und an ihrer Stelle zu denken. Ihr zu helfen. So wie sie ihr vergangene Nacht geholfen hatte, indem sie den Fluch des Zauberers auf ihn zurückschleuderte. Arha hatte nicht viel davon gewußt, was Tenar und Goha wußten, aber sie hatte gewußt, wie man verflucht, wie man in der Dunkelheit lebt und wie man schweigt.
    Es war schwer, dies zu tun – zu schweigen. Sie wollte aufschreien. Sie wollte sprechen – zu Tantchen Moor gehen und ihr erzählen, was geschehen war, warum sie gehen mußte, zumindest um Lebewohl zu sagen. Sie versuchte, zu Heide zu sagen: »Die Ziegen gehören jetzt dir, Heide«, und es gelang ihr, es auf hardisch zu sagen, so daß Heide sie hörte, aber Heide verstand sie nicht. Sie sah sie an und lachte. »Oh, es sind Lord Ogions Ziegen!«
    »Dann – du …«, versuchte Tenar herauszubringen. »Hüte sie weiter

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