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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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bist du zu weit gegangen, und ich warne dich, Weib! Ich will nicht, daß du jemals wieder deinen Fuß auf diese Domäne setzt. Wenn du meinem Willen zuwiderhandelst oder auch nur wagst, wieder zu mir zu sprechen, werde ich dich mit Hunden aus Re Albi und vom Oberfell vertreiben. Hast du mich verstanden?«
    »Nein«, erwiderte Tenar. »Männer wie dich habe ich nie verstanden.«
    Sie drehte sich um und ging die Straße hinunter.
    Etwas wie eine streichende Berührung glitt ihr das Rückgrat hinauf, und die Haare auf dem Kopf stellten sich ihr auf. Sie drehte sich jäh um und sah, wie der Zauberer seinen Stab, um den sich die dunklen Blitze sammelten, in ihre Richtung hob, wie seine Lippen sich öffneten, um zu sprechen. In diesem Augenblick dachte sie: Weil Ged seine Zauberkraft verloren hat, habe ich geglaubt, daß es allen Männern so erging, aber ich habe mich geirrt! Eine höfliche Stimme sagte: »Aber, aber. Was geht hier vor?«
    Aus den Kirschgärten an der anderen Straßenseite waren zwei der Männer aus Havnor getreten. Sie blickten sanft und vornehm von Aspen zu Tenar, als bedauerten sie, daß es notwendig war, einen Zauberer daran zu hindern, eine Witwe in mittleren Jahren mit einem Fluch zu belegen, aber wirklich, das durfte nun doch nicht sein.
    »Mistress Goha«, sagte der Mann mit dem goldgestickten Hemd und verbeugte sich vor ihr.
    Auch der andere, der mit den hellen Augen, begrüßte sie lächelnd. »Mistress Goha«, sagte er, »ist jemand, der wie der König seinen wahren Namen offen und furchtlos trägt. Da sie in Gont lebt, zieht sie es vielleicht vor, daß wir ihren gontischen Namen gebrauchen. Aber da ich ihre Taten kenne, bitte ich um Erlaubnis, ihr meine Reverenz zu erweisen; denn sie trug den Ring, den keine Frau seit Elfarran getragen hat.« Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, ließ er sich auf ein Knie nieder, ergriff sehr leicht und rasch Tenars rechte Hand und berührte ihr Handgelenk mit der Stirn. Er ließ sie los und erhob sich mit seinem freundlichen, verständnisinnigen Lächeln.
    »Ah«, sagte Tenar verwirrt und bis ins Innerste erwärmt, »es gibt alle möglichen Mächte auf der Welt! Ich danke Euch.«
    Der Zauberer rührte sich nicht und sah sie nur an. Er hatte den Mund geschlossen, ohne den Fluch auszusprechen, und hatte den Stab zurückgezogen, aber um den Stab und um seine Augen lag noch immer eine deutlich sichtbare Düsternis.
    Sie wußte nicht, ob er gewußt oder gerade erst erfahren hatte, daß sie Tenar vom Ring war. Es spielte keine Rolle. Er konnte sie nicht noch mehr hassen. Ihre Schuld bestand darin, daß sie eine Frau war. Seiner Ansicht nach konnte nichts diese Tatsache verschlimmern oder mildern; keine Strafe war schwer genug. Er hatte gesehen, was man Therru angetan hatte, und hatte es gebilligt.
    »Herr«, sagte sie jetzt zu dem Älteren, »wenn ich nicht ehrlich und offen spreche, beleidige ich den König, in dessen Namen Ihr redet – und handelt, wie soeben. Ich möchte dem Wunsch des Königs und seiner Boten entsprechen. Aber meine Ehre heißt mich schweigen, bis mein Freund mich davon entbindet. Ich – ich bin sicher, meine Herren, daß er Euch zu gegebener Zeit eine Nachricht zukommen läßt. Ich bitte Euch nur: Laßt ihm Zeit.«
    »Selbstverständlich«, antwortete der eine, und der andere fügte hinzu: »Soviel Zeit, wie er will. Vor allem aber ehrt uns Euer Vertrauen.« Nun ging Tenar endlich die Straße nach Re Albi hinunter. Sie war erschüttert; schuld daran waren der Schreck, die plötzlich veränderte Lage, der vernichtende Haß des Zauberers, ihre zornige Verachtung, ihr Entsetzen bei der plötzlichen Erkenntnis, daß er ihr Schaden zufügen wollte und die Macht dazu besaß, das unvermittelte Ende dieses Entsetzens durch den Schutz, den ihr die Gesandten des Königs boten – die Männer, die mit dem Schiff mit den weißen Segeln vom sicheren Hafen, dem Turm des Schwerts und des Throns, dem Zentrum von Recht und Ordnung, gekommen waren. Ihr Herz wurde vor Dankbarkeit leicht. Auf dem Thron saß tatsächlich ein König, und der schönste Edelstein in seiner Krone würde die Rune des Friedens sein.
    Sie mochte das kluge, freundliche Gesicht des jüngeren Mannes, die Art, wie er wie vor einer Königin vor ihr gekniet hatte, und sein Lächeln, in dem sich ein leises Zwinkern verbarg. Sie drehte sich um und blickte zurück. Die beiden Gesandten gingen mit dem Zauberer Aspen die Straße zum Herrenhaus hinauf. Sie schienen sich freundschaftlich

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