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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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mit ihm zu unterhalten, als wäre nichts geschehen.
    Das dämpfte ihr hoffnungsvolles Vertrauen ein wenig. Natürlich, sie waren Höflinge. Es war nicht ihre Aufgabe, zu streiten oder zu urteilen und zu mißbilligen. Und er war ein Zauberer, der Zauberer ihres Gastgebers. Trotzdem, dachte sie, hätten sie nicht ganz so ungezwungen mit ihm gehen und sprechen müssen.
    Die Männer aus Havnor blieben einige Tage beim Herrn von Re Albi; vielleicht hofften sie, daß der Oberste Magier es sich anders überlegen und zu ihnen kommen werde, aber sie suchten ihn nicht und setzten Tenar auch nicht zu, um seinen Aufenthaltsort zu erfahren. Als sie endlich abreisten, fand Tenar, sie müsse eine Entscheidung treffen, wie es weitergehen solle. Sie sah keinen triftigen Grund zu bleiben und zwei gewichtige Gründe, das Haus zu verlassen: Aspen und Flinko, denn vermutlich würde keiner der beiden sie und Therru in Ruhe lassen.
    Doch es fiel ihr schwer, sich zu entschließen, denn sie hatte Mühe damit, ans Fortgehen zu denken. Indem sie Re Albi verließ, verließ sie Ogion, den sie jetzt mehr liebte als zu der Zeit, da sie ihm den Haushalt geführt und die Zwiebelbeete von Unkraut freigehalten hatte. Ich werde dort unten nie vom Himmel träumen, dachte sie. Hier, wohin Kalessin gekommen war, war sie Tenar. Unten im Mitteltal wäre sie wieder nur Goha. Sie zögerte. Sie sagte sich: Soll ich mich vor diesen Schurken fürchten, vor ihnen davonlaufen? Das wollen sie erreichen. Soll ich mich von ihnen hin und her schicken lassen, wie es ihnen beliebt? Sie dachte: Ich will nur den Käse fertigmachen. Sie behielt Therru immer bei sich. Und die Tage vergingen.
    Tantchen Moor kam, um etwas zu erzählen. Tenar hatte sie nach dem Zauberer Aspen gefragt und ihr nicht die ganze Geschichte erzählt, sondern nur erwähnt, daß er sie bedroht hatte – was er vielleicht tatsächlich auch nur vorgehabt hatte. Die Hexe hielt sich für gewöhnlich von der Domäne des alten Herrn fern, aber sie hätte gern gewußt, was dort vorging, und nützte bereitwillig jede Gelegenheit, um mit Bekannten aus dem Haus zu plaudern – einer Frau, von der sie Geburtshilfe gelernt hatte, und anderen, denen sie als Heilerin oder Finderin Dienste erwiesen hatte. Tantchen Moor brachte sie dazu, über die Vorgänge im Herrenhaus zu reden. Alle haßten Aspen und waren deshalb ohne weiteres bereit, über ihn zu sprechen, aber die Hälfte ihrer Geschichten mußte man als Gehässigkeit und Angst abtun. Doch neben dem Erfundenen gab es auch Erlebtes. Die Hexe selbst bezeugte, daß bis zu Aspens Eintreffen vor drei Jahren der junge Herr, der Enkel, frisch und gesund, wenn auch schüchtern und mißmutig gewesen war. »Irgendwie erschreckt«, sagte sie. Dann hatte der alte Lord ungefähr zu der Zeit, als die Mutter des jungen Lords starb, einen Zauberer aus Rok kommen lassen. »Wozu? Wenn Ogion nicht einmal eine Meile entfernt lebte? Und alle im Herrenhaus sind Hexer.«
    Aber Aspen war gekommen. Er hatte Ogion seine Aufwartung gemacht, nicht mehr, und hielt sich immer im Herrenhaus auf, behauptete Tantchen Moor. Seither hatte man den Enkel immer seltener gesehen, und es hieß, daß er Tag und Nacht im Bett liege. »Wie ein krankes Kleinkind, ganz verkümmert«, sagte eine der Frauen, die anläßlich eines Botengangs das Haus betreten hatte. Aber der alte Herr – »hundert Jahre alt, oder beinahe, oder mehr«, beharrte die Alte (sie hatte keine Angst vor Zahlen und keine Achtung vor ihnen) –, der alte Herr blühte und gedieh, war ›voll Saft‹, wie es hieß. Einer der Männer (denn sie hatten im Herrenhaus nur Männer als Bedienstete) hatte einer der Frauen erzählt, daß der alte Herr den Zauberer angestellt habe, damit er ihn ewig am Leben erhalte, und daß der Zauberer das tat, indem er ihn mit dem Leben des Enkels fütterte. Der Mann fand nichts dabei, denn er fragte: »Wer wollte denn nicht ewig leben?«
    Tenar war verblüfft. »Das ist eine häßliche Geschichte. Wird im Dorf nicht darüber gesprochen?«
    Tantchen Moor hob die Schultern. Es war wieder einmal das ›Laß es bleiben‹. Die Handlungen der Mächtigen sollten nicht von den Machtlosen beurteilt werden. Außerdem gab es die dumpfe, blinde Ergebenheit, die heimatliche Verwurzelung: Der alte Mann war ihr Herr, der Herr von Re Albi, es ging niemanden etwas an, was er tat … Die alte Moor war offensichtlich der gleichen Meinung. »Ein solcher Kunstgriff ist gefährlich und muß mißlingen«, befand sie, aber sie

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