Der erfolgreiche Abstieg Europas
für Fortschritte bei der Lösung von Problemen. Das Risiko, falsch oder gar nicht verstanden zu werden, ist mir durchaus bewusst.
Allerdings helfen uns medienwirksame Auftritte allein nur sehr begrenzt, hinter die Fassaden von Begriffsungetümen zu schauen und Erklärungs- und Handlungsansätze zu finden, mit denen wir die neuen Probleme, vor denen wir stehen, lösen können. Besonders einflussreiche Erklärungen für die Veränderungen in der internationalen Politik sind einseitig und im Wesentlichen auf Freund-Feind-Schemata aufgebaut. In einer ehrlichen Bestandsaufnahme können wir nur feststellen, dass wir noch nicht verstanden haben, wie die Welt, in der wir seit 1989 leben, wirklich funktioniert. Unsere Wirklichkeit hat sich grundlegend verändert, aber unsere Denkmuster sind die gleichen geblieben beziehungsweise nur begrenzt angepasst. Und so drängen sich ganz andere Fragen auf: Können wir eine immer komplexer werdende Welt mit solchen Dichotomien erklären? Reicht es, nur in festgefahrenen, aber vertrauten Strukturen zu denken, wo wir doch eigentlich in Geschwindigkeiten und Technologiesprüngen denken müssten? Ist es genug, sich mit schnelllebigen Phänomenen an der Oberfläche der internationalen Politik zu befassen, oder muss man nicht einmal den Versuch machen, in die Tiefe zu schauen? Für unseren Umgang mit diesen Fragen ist von entscheidender Bedeutung, dass wir lernen, die Mauern in unseren Köpfen einzureißen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dem zweiten typischen Reaktionsmuster aufdie Veränderungen seit 1989, der Suche nach neuen Feindbildern, zu entkommen.
Neue Feindbilder müssen her
»Was ist unser Sputnik?« Mit dieser Frage bringt der amerikanische Kolumnist Thomas L. Friedman die größte Suchaktion des Westens seit dem Fall der Berliner Mauer und der Auflösung der Sowjetunion auf den Punkt. 31 US-Präsident Barack Obama hat die Metapher in seine Rede zur Lage der Nation im Januar 2011 aufgenommen und durchaus Unverständnis geerntet. Sputnik? – Was will er eigentlich, fragten sich amerikanische Kommentatoren und wohl auch größere Teile der US-Bevölkerung. Nur wenige scheinen sich heute noch an das historische Ereignis zu erinnern. Am 5. Oktober 1957 hatte die Sowjetunion den ersten künstlichen Erdsatelliten Sputnik 1 erfolgreich gestartet. Vordergründig schien die kommunistische Führungsmacht den USA technologisch überlegen zu sein. Sicherheitspolitisch bestand die Bedrohung in der Fähigkeit, die USA mittels Interkontinentalraketen auch mit Atombomben anzugreifen. Vor allem aber versetzte das Ereignis die politischen Eliten im Westen, allen voran natürlich in den USA, zunächst in eine Schockstarre, dann aber in einen ausgesprochenen Aktivismus, weil es nun auf allen Feldern von Wissenschaft und Bildung, Technologie und Verteidigung darum gehen musste, zu verhindern, dass der Westen den Anschluss verlor. Der Sputnik-Schock ereilte den Westen in der ersten Hochphase des Kalten Krieges und verdeutlichte den technologischen Wettbewerb mit der Sowjetunion. Die Zeit automatischer Technologieüberlegenheit des Westens war vorbei. Der Flug des Sputniks symbolisierte Risiken und mobilisierte Kräfte, die zu einem Ruck in den Verteidigungs- und Selbstbehauptungsbemühungen des Westens führten. Das Feindbild Kommunismus war endgültig etabliert. Bis 1991 hat es den Westen in einer gemeinsamen Bedrohungswahrnehmung zusammengehalten. Seit diese uns verloren gegangen ist, sind wir wieder auf der Suche.
An Schurken haben wir uns abgearbeitet im letzten Jahrzehnt: An Osama Bin Laden ebenso wie an Robert Mugabe, an der Militärjunta in Myanmar ebenso wie an unseren Lieblingsfeinden in Nordkorea und im Iran. Alle haben wir gewogen, als mögliche Gegner des Westens diskutiert, zum Teil sogar mit Kriegen überzogen und am Ende für zu leicht befunden, um die alte Rolle des verlässlichen Feindbildes, das die Sowjetunion darstellte, zu ersetzen. Dem Westen sind die Feindbilder verloren gegangen. Umso schmerzlicher fällt auf, wie traditionell wir immer noch in unserem Denken nach alten Mustern verfahren, um die Schockwellen des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts zu verarbeiten. Am deutlichsten zu beobachten war dieser Zusammenhang bei den Debatten um den Zweiten Golfkrieg. Deutlich gingen die Bewertungen zwischen den Regierungen in Washington und Europa auseinander. Entsprechend konnten die Kosten eines solchen Krieges sogar zum innenpolitischen Thema in Wahlkämpfen gemacht –
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