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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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von Präsident Bush. Frum verstand die Frage völlig richtig. Er sollte einen Kriegsgrund liefern, nicht mehr und nicht weniger. Zwei Tage sollte er sich Zeit nehmen. Redenschreiber wissen, wie wichtig es ist, prägende und einprägsame Begriffe zu besetzen. So wurde schließlich aus der ursprünglichen Idee einer »Achse des Hasses« eine »Achse des Bösen«. Und in offener Anlehnung an das historische Vorbild der Achse Tokio–Rom–Berlin im Zweiten Weltkrieg landeten praktisch auf Zuruf aus dem Kreis der übrigen Redenschreiber der Irak, Iran und Nordkorea auf dieser Achse. »Staaten wie diese, und ihre terroristischen Verbündeten, bilden eine Achse des Bösen, die sich bewaffnet, um den Frieden der Welt zu bedrohen«, verkündete Bush in seiner Rede. 32 Aus einer Redenschreiberidee war die zentrale außenpolitische Leitlinie der Präsidentschaft von George W. Bush geworden. So einfach kann internationale Politik sein. Der Fall des Irak ist bekannt. Die Konflikte mit dem Iran und Nordkorea dauern an.
    Feindbilder lassen sich kategorisieren. Traditionell sind Feindbilder Staaten. Sie lassen sich leicht einordnen, charakterisieren und als Gegner fassen. Die gesamte Geschichte des 19. Jahrhunderts, aber auch die Frontstellung des Kalten Krieges und in jüngerer Zeit die Länder, die man unter George W. Bush auf die Achse des Bösen gesetzt hatte, sind die wohlbekanntesten Beispiele. Aber auch Länder wie Myanmar mit seinem Militärregime werden leicht in diese Kategorie gepackt.
    Der zweite Feindbildtyp sind Personen, in der Regel politische Führer, deren Handeln als bedrohlich und deshalb als mit allen Mitteln zu bekämpfen dargestellt wird. Die »Schurken« der letzten beiden Jahrzehnte heißen Slobodan Milošević, Saddam Hussein und Osama Bin Laden. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat sich in der westlichen Presse mittlerweile ebenso für diese Kategorie qualifiziert wie gelegentlich auch Hugo Chávez, der Staatschef von Venezuela, mit seinen rhetorischen Attacken insbesondere gegen die USA.
    Am schwierigsten zu fassen sind die Feindbilder, die aus ideologischen und religiösen Motiven gezimmert werden. Europa tut sich schwer, in dem amorphen Feind »Terrorismus« tatsächlich das Feindbild zu erkennen, das es uns erlauben würde, geschlossen zusammenzustehen und alle notwendigen Kosten zu seiner Bekämpfung zu teilen. Noch schwieriger wird es mit dem häufig zelebrierten Feindbild »Islam«, einer Weltreligion, deren Anhänger in ihrer überwiegenden Mehrheit friedlich ausgerichtet sind. Trotzdem wird er in seinen extremistischen Varianten als aggressive Bedrohung empfunden und entsprechend mit allen Charakteristika eines typischen Feindbildes versehen. »Es gibt ein Feindbild in diesem Land«, schreibt der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, »und es ist über die Jahre eher größer als kleiner geworden. Das Feindbild besteht in einer Religion, die für viele gesellschaftliche und internationale Probleme verantwortlich gemacht wird: für Arbeitslosigkeit, für Bildungsferne, ja sogar für Kriege. Natürlich ist es absurd, dem Islam dafür Schuld zuzuweisen. Aber die Saat jener Menschen, die in der öffentlichen Debatte unter der Berufsbezeichnung ›Islamkritiker‹ geführt werden, ist aufgegangen.« 33
    Aus all diesen Überlegungen ergibt sich eine einfache Konsequenz: Wer der Torheit der Regierenden entkommen will, wer Fehlentscheidungen im Kleinen, die zu katastrophalen Folgen führen können, vermeiden will, muss bereit sein,buchstäblich alles, was zum typischen Glaubensbekenntnis westlicher Politik zählt, gegen den Strich zu bürsten. All diese Veränderungen, die notwendig sind, um typische Entscheidungsfallen zu vermeiden, fangen im Kopf an. Wir werden gar nicht anders können, als alles, was uns lieb gewordene Denkmuster sind, zunächst über Bord zu werfen, um neu, gelegentlich auch völlig anders, über Politik in der »globalen Verflechtungsfalle« nachdenken zu können. Noch haben wir die Zeit, umzusteuern. Aber wie lange noch? Es ist höchste Zeit aufzuwachen: Der Truthahn, von dem Nassim Taleb so eindrucksvoll erzählt, hat gar nicht mehr die Zeit, sein Weltbild zu korrigieren. Bevor er es tun kann, ist die Rübe ab und er liegt gebraten auf dem Tisch. In der Welt der internationalen Politik haben wir diese Zeit wohl noch. Also sollten wir sie auch nutzen!
    In einem ersten Schritt heißt das nicht mehr und nicht weniger, als Abschied zu

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