Der erfolgreiche Abstieg Europas
Treffen die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise die Schwellenländer so hart, dass sie wegen unausgewogener Wirtschaftsstrukturen und wachsender sozialer Probleme im Inneren am Ende einen wieder erstarkten Westen unter Führung der USA erleben, die kraft ihrer sprichwörtlichen »resilience« (Elastizität, das Stehaufmännchen-Prinzip) die Krise gestärkt und leistungsfähig wie eh und je überstehen?
Aus europäischer Sicht scheint es nicht ohne die USA zu gehen. »Ohne die Vereinigten Staaten wäre die Welt vollends ohne Ordnung«, dekretiert Michael Stürmer und fährt geradezu beschwörend fort: »Was tragen Chinesen und Russen, was tragen Europäer dazu bei? Wenn es nicht die Vereinigten Staaten gäbe, die wie der sagenhafte Atlas die Last des Globus auf den Schultern tragen, so wäre die Welt vollends ohne Weltordnung. Das beginnt bei der Welthandelsorganisation und der Durchsetzung, recht und schlecht, ihrer Regularien. Das setzt sich fort mit der Freiheit der Meere – für die Amerikaner rund um den Globus ein staatlicher Glaubensartikel, hinter dem Flugzeugträgergruppen und die Elite-Teilstreitkraft der U.S. Marines stehen – und Offenheit strategischer Seewege, von Panama zum Suezkanal über die Straße von Hormus bis zur Meerenge von Malakka zwischen Singapur und Malaysia. Der europäische Beitrag zu solchen Anstrengungen geht bisher davon aus, dass Amerika für alles sorgt, alles bezahlt und alles trägt.« 57
Die Kritik an der Trittbrettfahrermentalität der Europäer mag berechtigt sein, aber das Wehklagen der Transatlantiker über fehlende Substanz in ihrer Lieblingspartnerschaft darf über zwei Dinge nicht hinwegtäuschen: »Weltordnungen« gibt es auf die eine oder andere Art immer, auch wenn sie in ihren Regeln vielleicht nicht unseren Vorstellungen entsprechen. Und das Nachdenken über Weltordnungen ist kein Privileg der transatlantischen Gemeinschaft. Anderenorts wird es auch und sogar mit Akribie betrieben. Nur sind die Vorstellungen, wie eine künftige Weltordnung jenseits amerikanisch-europäischer Dominanz aussehen sollte, von den verblichenen Träumen der »euro-atlantischen Sicherheitsgemeinde« grundsätzlich verschieden.
Mit Tunnelblick ins 21. Jahrhundert
»Chinesen bemächtigen sich der Weltwirtschaft – oder versuchen es zumindest. Mit gigantischen Devisenmengen im Rücken machen staatliche wie private Unternehmen rund umden Globus Jagd auf immer größere und bedeutendere Konzerne.« 58
So oder so ähnlich klingen die Horrormeldungen in den führenden Wirtschaftsmedien der USA und Europas. Die Botschaft ist ebenso einfach wie scheinbar bedrohlich: »Die Chinesen kommen.« »China greift an!« »China kauft die Welt!« Eingängige Schlagworte, die ein tief sitzendes Gefühl der Bedrohung zum Ausdruck bringen. Der Westen steht (wieder einmal) vor dem Ausverkauf der Kernstücke seiner Wirtschaft. Doch halt! Wieder einmal? War da nicht schon mal was? Hatten wir solche Debatten nicht auch schon früher?
Natürlich hatten wir sie. Wir haben es nur vergessen. Schauen wir also noch einmal einen Augenblick zurück: In den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ging die Angst vor Japan und seiner globalen Beschaffungspolitik um. Als das Rockefeller Center in New York 1989 in die Hände japanischer Investoren fiel, schien es um den Westen und seine Wirtschaft geschehen zu sein. Nun wissen wir heute, dass all die Horrormeldungen von damals nicht Wirklichkeit wurden. Bereits im Jahr 1995 musste Mitsubishi mit der Rockefeller-Investition in Konkurs gehen und Gläubigerschutz beantragen. Und Japan selbst hatte sich überdehnt, rutschte für weit über ein Jahrzehnt in die Rezession und verschwand als Bedrohung für westliche Volkswirtschaften genauso schnell, wie es erschienen war. Heute schauen wir fast mitleidig auf eine immer noch beeindruckende Volkswirtschaft, die um ihre Erholung, aber auch gegen den wachsenden Konkurrenzdruck aus China ankämpft, von dem Japan Anfang 2011 nominell als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt abgelöst wurde. Die ungeahnten Auswirkungen des Erdbebens vom 11. März 2011 und die Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima tragen zusätzlich dazu bei, dass der einst unaufhaltsam erscheinende Aufstieg Japans wohl sein Ende gefunden haben dürfte. Zu Recht wird gelegentlich zur Vorsicht gemahnt: »Die Geschichte von China und Japan zeigt, wie vorsichtig man mit Euphorien und Spekulationen um künftige Wirtschaftsmächte sein sollte. In den 80er-Jahren
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