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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Mit den Realitäten internationaler Politik haben solche Erwartungen allerdings in der Regel wenig zu tun. Internationale Ordnungen sind eigentlich immer im Fluss. Veränderungen finden tagtäglich statt. Machtzuwachs und Machtverlust gehören zum Wesen internationaler Politik. Man muss sich vor ihnen weder fürchten noch sie verdammen. Sie sind nun einmal Bestandteil des Zusammenlebens von Staaten. Das ist heute nicht anders als in der Vergangenheit. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass es im historischen Rückblick einfacher ist, die Veränderungen nachträglich zu verstehen und nachzuzeichnen, als sie zu durchleben und mit den Ungewissheiten zurechtzukommen, die mit ihnen verbunden sind.
    Dauerhaft erreicht wurde eine stabile Weltordnung in der bisherigen Geschichte immer nur für begrenzte Zeit. Also müssen wir uns doch wohl fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, verbissen nach Stabilität zu suchen, wo uns die Geschichte lehrt, dass es geradezu ein Kennzeichen von Politik ist, ständig mit Unwägbarkeiten, Risiken und Überraschungenumzugehen. Was man in einer bestimmten Situation üblicherweise »Weltordnung« nennt, erscheint uns nur dann stabil, wenn man bereit ist, einen sehr selektiven und momenthaften Blick auf die weltpolitischen Machtkonstellationen zu werfen. Selbst auf der Grundlage internationaler Vereinbarungen und rechtlich verregelter Systeme bleiben Weltordnungen nie über längere Zeit konstant. Dieses Phänomen ist alles andere als neu. Im Rückblick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der alles in einer bipolaren Konfrontation zwischen Ost und West erstarrt erschien, zeigt sich bei genauerem Hinsehen, wie intensiv und vielschichtig die Veränderungen waren, die die Nachkriegsordnung in der internationalen Politik einem ständigen Wandel unterzogen haben.
Die Grenzen der Suche nach Ordnung im Chaos
    Aber zunächst muss man sich noch einmal grundsätzlich in Erinnerung rufen, dass das 20. Jahrhundert davon geprägt war, dass die jeweils bestehenden Weltordnungen dreimal fundamental zusammengebrochen sind.
    Der erste Zusammenbruch erfolgte durch die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges. Das System der europäischen Vertragsbalance war gründlich gescheitert, hatte zu einem verheerenden Krieg und dem Aufstieg einer neuen Weltmacht, den USA, geführt. Entsprechend begannen schon während des Krieges, insbesondere durch Initiativen des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, die Bemühungen, eine neue Weltordnung zu etablieren, die verhindern sollte, dass solch ein verheerender Krieg noch einmal ausbrechen könnte. Die Gründung des Völkerbundes, schwierig genug während der Versailler Vertragsverhandlungen und letztendlich mit dem Makel des Scheiterns versehen, weil die USA selbst ihm nicht beitraten, war das Ergebnis dieser Bemühungen. Mit der immer kritischeren Haltung des Deutschen Reiches und dem schlussendlichen Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund im Jahre 1933 war dieser Versuch besiegelt. Der Rückfall in rücksichtslose Machtpolitik war eine fast logische Folge.
    Der zweite große Zusammenbruch der Weltordnung wurde durch den Zweiten Weltkrieg ausgelöst. An seinem Ende stand erneut der Versuch, durch die Etablierung einer fest vereinbarten institutionellen Ordnung, die von allen Staaten unter Führung der Siegermächte getragen sein sollte, zu versuchen, verheerende Kriege dieses Ausmaßes für die Zukunft zu verhindern. Die Gründung der Vereinten Nationen und ihre Arbeit bis heute stehen für diesen Versuch. Was sich allerdings etablierte, war eine internationale Ordnung, die trotz der Bipolarität des Kalten Krieges letztendlich vom Westen dominiert war. Alle wesentlichen internationalen Institutionen, etwa die Bretton-Woods-Organisationen, Weltbank und Internationaler Währungsfonds, aber auch die Vereinten Nationen selbst und viele ihrer Unterorganisationen waren in wesentlichen Teilen von den Vereinigten Staaten und ihren westlichen Alliierten dominiert und dienten, wo immer möglich, auch als Instrumente der Interessendurchsetzung gegenüber dem großen globalen Gegner Sowjetunion. »Liberale Weltordnung« nennt man das heute gelegentlich, um eine positive Konnotation zu erzeugen.
    Aber selbst in den Zeiten, in denen dieses System zumindest institutionell und in weiten Teilen auch politisch stabil war, zeigte sich, dass die damals existierende Weltordnung von tief greifenden Veränderungen nicht verschont blieb. Der erste Schub der Veränderungen

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