Der erfolgreiche Abstieg Europas
einem Zug chinesischen Fabrikats stammt, der uns mit chinesischen Lokführern und einer Besatzung aus den übrigen Aufsteigerstaaten in absehbarer Zeit überrollt.
Wer bei solchen Themen gerne die Stirn in Sorgenfalten legt, hat in Chinas Aufstieg natürlich sein Leib- und Magenthema gefunden. Das ist auch ganz verständlich: Chinas Aufstieg beeindruckt gerade in quantitativer Hinsicht, auch wenn wir gerne die gewaltigen Probleme, die das Land unbezweifelbar hat, übersehen. Tatsache ist auch, dass Chinas Eliten immer selbstbewusster auftreten und uns erschrecken, während sie uns gleichzeitig mit ihrem freundlichen Lächeln knochenhart zeigen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen der Westen die Spielregeln der Weltpolitik diktierte.
So gemein kann Geschichte sein! Bei allen Bedenken, die gerade Chinas Aufstieg gerne auslöst, sollten wir die erwähnten Debatten der Vergangenheit nicht vergessen. All diese Sorgen sind verflogen und kommen uns heute zum Teil sogar ausgesprochen lächerlich vor. Ob mit China dasselbe passiert? Wie wäre es denn einmal mit einer weniger aufgeregten Variante? Chinas Aufstieg ist normal und legitim. Aber auch Chinas Bäume werden nicht in den Himmel wachsen, der Untergang des Abendlandes steht nicht bevor, aber die machtpolitischen Gewichte verschieben sich weltweit – wieder einmal. So wie sie es seit Jahrhunderten immer getan haben. Wer auf dem Pendel reitet, das seit Jahren zwischen China-Angst und China-Begeisterung munter hin und her schwingt, hält die Zugluft vielleicht allzu schnell tatsächlich für einen Sturm.
Vielleicht ist es auch richtig, dass China dank seiner schlichten Größe in einer eigenen Gewichtsklasse spielt. Aber es geht natürlich nicht nur um China. China ist eigentlich nur die Spitze des Eisberges. Es gibt längst eine ganze Reihe von nachholenden Ökonomien, die auf den Spuren Chinas ebenfalls darangehen, durch ihren Aufstieg die Vormachtstellung des alten Westens infrage zu stellen. An mahnenden Stimmen und auch an Vorschlägen, wer alles zu dieser Gruppe der Herausforderer des Westens gezählt werden sollte, fehlt es nicht. Eine Gruppe junger Wissenschaftler und Experten der Stiftung Neue Verantwortung formuliert das beispielsweise so: »Die Kombination wirtschaftlicher und politischer Machtfaktoren ... ergibt eine Liste von neuen Kräften mit globaler Reichweite, allen voran China, Brasilien, Indien, Russland,Indonesien, Mexiko, Südafrika, Argentinien, Südkorea, Nigeria, Vietnam und die Türkei. Dieses ›Dynamische Dutzend‹ ist die neue Lokomotive der Weltwirtschaft. Fast die gesamte Zunahme des Weltwirtschaftswachstums seit 2008 ist auf diese und andere Schwellenländer zurückzuführen. Das Dynamische Dutzend trägt heute rund ein Drittel zum globalen Wirtschaftsprodukt bei – verglichen mit einem guten Fünftel jeweils von der Europäischen Union und den USA. Diese Zahlen verdeutlichen: Der Westen verliert Macht. Das Dynamische Dutzend gewinnt sie hinzu.« 63
Damit nicht genug. Die Konsequenzen aus dem Aufstieg dieser Länder lassen sich relativ einfach fassen. Sie haben zunächst mit einer zunehmenden Konkurrenz um Rohstoffe zu tun, die uns in den nächsten Jahren deutlich intensiver beschäftigen wird, als es in der Vergangenheit etwa in den Debatten um Ölpreiserhöhungen und Liefermengen der Fall war. Das ist kein Zukunftsproblem mehr. Schon heute ist die Konkurrenz um Rohstoffe eines der drängendsten Probleme der internationalen Politik. Gleichzeitig zeigt sich, dass die bestehenden Möglichkeiten von »global governance« an dieser Stelle wegen der Eigeninteressen wichtiger Akteure an ihre Grenzen stoßen. Es wird sehr schnell deutlich, dass die bestehenden institutionellen Strukturen des globalen Systems nicht mehr den Realitäten der heutigen Welt entsprechen. Und so gehört es zu den selbstverständlichen Einsichten, dass die Vereinten Nationen und die meisten ihrer Unterorganisationen letztlich geprägt sind von den Machtstrukturen der unmittelbaren Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges. Die Veränderungen in der Welt, die sich in den letzten Jahrzehnten und erst recht nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes ergeben haben, spiegeln sich nicht wider. Aber es ist um ein Vielfaches einfacher, diese Tatsache anzuerkennen, als sie zu verändern. Insofern werden solche automatischen Annahmen von den Aufsteigern auch prinzipiell infrage gestellt. Die gescheiterten Versuche einer Reform der Vereinten Nationen sprechen Bände. Die
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