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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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über fast ein halbes Jahrhundert standgehalten. Sie werden es auch weiterhin – nach innen wie nach außen – tun müssen, wenn sie stabilbleiben wollen. Das vermeintliche Ende der Geschichte ist wohl eher eine unendliche Geschichte. Und die zentrale Einsicht lautet: Demokratisierung ist ein reflexives Phänomen.
    Legitimität und Effizienz bilden die Spannungspole jedes funktionierenden demokratischen Systems. Der Legitimitätspol ist an der Frage sozialer Geltung als rechtens ausgerichtet und bietet den Maßstab für die Akzeptanz demokratischer Politik in der jeweiligen Bevölkerung. Der Effizienzpol zielt auf die Performanz demokratischer Politik im Sinne ihrer Fähigkeit, adäquate Problemlösungen zu präsentieren. Im Spannungsfeld dieser beiden Pole war die demokratische Entwicklung seit 1789 auf die Stabilisierung der Demokratie durch Steigerung von Partizipation, also auf eine Stärkung des Legitimitätspols ausgerichtet.
    Stehen wir insofern auch vor einem neuerlichen demokratietheoretischen Einschnitt? Immerhin sind alle wesentlichen Beiträge zur Weiterentwicklung unserer demokratietheoretischen Konzeptionen über die letzten zwei Jahrtausende nie in Zeiten normaler, sondern fast ausschließlich in Zeiten von Krisen der jeweiligen Gemeinwesen erbracht worden. Muss also auf die seit rund 200 Jahren anhaltende Entwicklung der Stabilisierung von Demokratie durch Steigerung von Legitimität nicht jetzt eine ganz neue Phase der Stabilisierung der Demokratie durch Steigerung von Effizienz folgen?
    Dass Demokratien bei der Lösung von gesellschaftspolitisch relevanten Problemen versagen und in der Konsequenz auch untergehen können, ist historisch vielfach belegt. Letztlich gilt hier die Einsicht, dass kein politischer Systemtyp auf Dauer per se stabil ist.
    Droht also die Gefahr, dass auch Demokratien versagen, wenn sie sich als unfähig erweisen, auf neue Herausforderungen und neue Probleme mit einer Anpassung ihrer Problemlösungsfähigkeit zu reagieren? Und was genau charakterisiert dann eine solche nicht mehr nur akzeptanz-, sondern jetzt verstärkt effizienzorientierte Problemlösungskapazität demokratischer Systeme?
    Probleme demokratischer Legitimität erweisen sich in aller Regel als temporär und damit vergleichsweise leicht behebbar. Die immer wieder aufflammende »Nichtwähler-Debatte« zeigt, dass sich Wähler in bestimmten Situationen durchaus gegen aktive Partizipation an Wahlen, dem wesentlichen Legitimitätsinstrument, entscheiden. Sie lassen sich allerdings ohne Weiteres auch wieder für eine Beteiligung zurückgewinnen, wenn Situationen, Themen oder Personen entsprechend zu motivieren vermögen.
    Eine der wirkungsmächtigsten Herausforderungen für repräsentative Demokratien dürfte aus einer zunehmenden demokratischen Selbstüberforderung entstehen: Ursachenzuweisungen an die Fehlleistungen von Politikern – ohne hier im Einzelfall beschönigen oder entschuldigen zu wollen – sind vielleicht zu vorschnell und vor allem zu einfach. Zu den zentralen Entwicklungsmustern gerade demokratischer Systeme gehört jedoch der Trend, die Erwartung an die Regelungskapazität von Politik kontinuierlich zu steigern. Die Aufgaben des Staates und die Erwartungen der Bürger nehmen ständig zu – nur die Problemlösungsfähigkeit des demokratischen Staates hat sich nicht nennenswert geändert. Wen wundert es also, wenn sich die Schere zwischen Ansprüchen an demokratische Politik und Leistung demokratischer Politik ständig weiter öffnet und dem wachsenden Unmut enttäuschter Bürger Vorschub leistet.
    Steigende Erwartungen machen gewählte Politiker immer mehr zu den unmittelbaren Adressaten der Bürger. Je mehr Probleme der Daseinsvorsorge des Einzelnen dem Staat aufgebürdet werden, umso mehr werden Politiker zu den Adressaten steigender Erwartungen ihrer Wähler. Müssen wir nicht auch hier umdenken und in viel stärkerem Maße als bisher die Bürger zu Adressaten von Politikern (und Experten) machen, die Wahrheiten sagen, unbequeme Problemlösungen vermitteln und auch für Unpopuläres werben, anstatt die Selbstüberforderung der Politik durch nicht einhaltbare und schnell als völlig überzogen durchschaubare Versprechungen bis zur drohenden Destabilisierung des demokratischen Systems treiben zu lassen?
    Politische Entscheidungen werden immer komplexer, infolgedessen müssen auch an die Kompetenzprofile von Parlamentariern höhere Anforderungen gestellt werden. Ob es deshalb ein besonders

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