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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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die glitzernde, unfassbar blaue Adria. Und dort sah er einen Mann mit breitem Lächeln an Land waten. Es war Vater. Hinter ihm kam Bobo. Und Giorgi. Ein kleiner Hund schwamm neben ihm, den Schwanz aufgerichtet wie ein nach oben gedrehter Kiel. Und während er sie beobachtete, entstiegen immer mehr Menschen dem Meer. Einige von ihnen kannte er gut. Wie Giorgis Vater. Andere kamen ihm nur vage bekannt vor. Ein Gesicht hinter einem Türspalt in Paris. Die Züge waren bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, zu grotesken Masken, die ihm wilde Grimassen schnitten. Die Sonne verschwand hinter einer Wolke und die Temperatur fiel abrupt. Die Masken begannen zu rufen.
    Er erwachte von einem stechenden Schmerz in der Seite und schlug die Augen auf. Er war in Oslo. Auf dem Boden unter einer Treppe in einem Hausflur. Jemand stand über ihn gebeugt und rief etwas. Sein Mund war geöffnet. Er erkannte ein Wort wieder, das in seiner eigenen Sprache fast gleich klang. Junkie!
    Dann trat die Gestalt, ein Mann in einer kurzen Lederjacke, einen Schritt zurück und holte mit dem Fuß aus. Der Tritt traf ihn an der Seite, die bereits schmerzte, und er drehte sich stöhnend um. Hinter dem Mann mit der Lederjacke stand noch ein zweiter, der sich lachend die Nase zuhielt. Die Lederjacke deutete auf die Haustür.
    Er sah die beiden an. Legte die Hand auf die Jackentasche und spürte, dass sie nass war. Und dass er noch immer seine Pistole hatte.Zwei Kugeln steckten noch im Magazin. Aber wenn er sie mit der Waffe bedrohte, riskierte er nur, dass sie ihn der Polizei meldeten. Die Lederjacke hob brüllend die Hand.
    Er hielt sich den Arm schützend über den Kopf und rappelte sich auf. Der Mann, der sich die Nase zuhielt, öffnete grinsend die Haustür und gab ihm einen Tritt in den Hintern, als er nach draußen ging.
    Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, und er hörte sie die Treppe hochstampfen. Er sah auf die Uhr. Vier Uhr nachts. Es war noch immer dunkel, und er war steif vor Kälte. Und nass. Mit der Hand tastete er sich über den Rücken. Die Jacke und auch seine Hosenbeine waren durchnässt. Es roch nach Pisse. Hatte er in die Hose gemacht? Nein, er musste sich hineingelegt haben. In eine Pfütze. Gefrorene Pisse, die er mit der Wärme seines Körpers aufgetaut hatte.
    Er steckte die Hände in die Taschen und lief los. Um die wenigen Autos, die an ihm vorbeifuhren, kümmerte er sich nicht mehr.
     
    *
     
    Nachdem sich der Patient leise bedankt hatte, schloss Mathias Lund-Helgesen die Tür hinter ihm und ließ sich auf den Stuhl seines Behandlungszimmers fallen. Gähnend sah er auf die Uhr. Sechs. Noch eine Stunde, dann übernahm die Frühschicht. Dann konnte er nach Hause fahren. Ein paar Stunden schlafen, ehe er zu Rakel fuhr. Sie lag jetzt in ihrer großen Holzvilla auf dem Holmenkollen in den Federn. Zu dem Jungen hatte er noch nicht wirklich Zugang gefunden, aber das würde schon noch in Ordnung kommen. Wie alles bei Mathias Lund-Helgesen. Und es war ja auch nicht so, dass Oleg ihn nicht mochte, es lag wohl eher daran, dass sich der Junge zu sehr an seinen Vorgänger gebunden hatte. Diesen Polizisten. Seltsam eigentlich, dass ein Junge eine alkoholabhängige und offenbar gestörte Person problemlos zur Vaterfigur und zum Vorbild hochstilisieren konnte.
    Er überlegte schon seit geraumer Zeit, ob er einmal mit Rakel über Oleg reden sollte, aber bis jetzt hatte er es noch nicht getan. Es würde ihn doch nur wie einen hilfslosen Trottel aussehen lassen. Ja, vielleicht würde sie dann sogar daran zweifeln, dass er der Richtige für sie beide war. Und das wollte er sein. Der Richtige. Um sie nicht zu verlieren, war er bereit, der zu sein, der er sein musste. Undum zu wissen, wie der Richtige aussah, hatte er fragen müssen. Und er hatte gefragt. Was an diesem Polizisten so besonders gewesen sei? Und sie hatte ihm geantwortet, dass er nichts Besonderes an sich hatte. Außer, dass sie ihn geliebt hatte. Und hätte sie nicht ausgerechnet diese Worte gebraucht, wäre ihm sicher nicht aufgefallen, dass sie zu ihm noch nie etwas in dieser Art gesagt hatte. Mathias Lund-Helgesen schüttelte die nutzlosen Gedanken ab, suchte sich im PC den Namen seines nächsten Patienten heraus und ging auf den Zwischenflur. Dort ließen die Schwestern die Wartenden normalerweise Platz nehmen. Doch so spät in der Nacht war es leer, so dass er weiter ins Wartezimmer ging.
    Fünf Menschen sahen ihn mit Blicken an, die ihm zu verstehen gaben, dass sie alle die

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