Der Erl�ser
auch wenn sie das letzte gebrochen haben. Ich glaube an Neuanfänge. Ich hab das wohl nicht ausdrücklich so gesagt « Er hob den Arm und winkte, als er ein blaues Taxischild sah. »Aber deshalb bin ich in dieser Branche.«
Im Taxi fiel Harry ein, dass er kein Bargeld hatte, und er erfuhr, dass es am Flughafen Pleso Geldautomaten gab, die seine Visa-Karte akzeptierten. Während der ganzen Fahrt fingerte er an der Zwanzigkronen-Münze herum. Der Gedanke an die auf dem Boden kreiselnde Münze und der Gedanke an den ersten Drink an Bord des Flugzeugs kämpften in seinem Kopf um die Vorherrschaft.
*
Draußen war es schon hell, als Jon von den Geräuschen eines Wagens geweckt wurde, der auf den Hof des Østgårds rollte. Er blieb liegen und sah an die Decke. Es war eine lange, kalte Nacht gewesen, und er hatte nicht viel geschlafen.
»Wer kommt da?«, fragte Thea, die noch vor einem Augenblick tief geschlafen hatte. Er konnte die Angst in ihrer Stimme hören.
»Sicher die Ablösung für den Polizisten«, sagte Jon. Der Motor wurde ausgeschaltet, zwei Autotüren wurden geöffnet und wieder geschlossen. Zwei Personen also. Aber keine Stimmen. Stille Polizisten. Durch das Wohnzimmer, in dem sich der Polizist eingerichtet hatte, hörten sie, wie jemand an die Haustür klopfte. Einmal. Zweimal.
»Will er denn nicht aufmachen?«, flüsterte Thea.
»Psst«, sagte Jon. »Vielleicht ist er nach draußen gegangen. Aufs Klo?«
Es klopfte ein drittes Mal. Energisch.
»Ich gehe aufmachen«, sagte Jon.
»Warte!«, rief sie.
»Wir müssen sie doch reinlassen«, sagte Jon, kroch über sie hinweg und zog sich an.
Er öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Im Aschenbecher auf dem Sofatisch lag eine qualmende Zigarette und auf dem Sofa eine zerknüllte Wolldecke. Es klopfte erneut. Jon sah aus dem Fenster, konnte das Auto aber nicht sehen. Merkwürdig. Er stellte sich direkt vor die Tür.
»Wer ist da?«, rief er, nicht mehr ganz so sicher.
»Polizei«, antwortete eine Stimme von draußen.
Es war möglich, dass Jon sich irrte, aber er glaubte, einen seltsamen Akzent in der Stimme des Mannes zu hören.
Er zuckte zusammen, als es wieder klopfte. Zitternd streckte er seine Hand nach der Türklinke aus. Dann holte er tief Luft und öffnete die Tür mit einem Ruck.
Der eisige Wind, der ihm plötzlich ins Gesicht blies, fühlte sich an wie eine Wand aus Wasser, und das scharfe, blendende Gegenlicht zwang ihn, die Augen zuzukneifen, so dass er die zwei Menschen auf der Treppe nur als Silhouetten wahrnehmen konnte.
»Sind Sie die Ablösung?«, fragte Jon.
»Nein«, sagte eine Frauenstimme, die er erkannte. »Es ist vorbei.«
»Vorbei?« fragte Jon verwundert und hielt sich die Hand über die Augen. »Oh, Sie sind das?«
»Ja, Sie können packen. Wir bringen Sie nach Hause«, sagte sie. »Warum?«
Sie erklärte ihm, warum.
»Jon! «, rief Thea aus dem Schlafzimmer.
»Einen Augenblick«, sagte Jon und ließ die Tür offen stehen, als er zu Thea ging.
»Wer ist da?« fragte Thea.
»Die Polizistin, die mich verhört hat«, sagte Jon. »Toril Li. Undein anderer, der auch Li heißt, glaube ich. Sie sagen, Stankic sei tot. Er wurde heute Nacht erschossen.«
Der Polizist, der sie während der Nacht bewacht hatte, kam vom Plumpsklo zurück, packte seine Sachen zusammen und fuhr. Und zehn Minuten später schwang sich auch Jon die Tasche über die Schulter, zog die Tür zu und drehte den Schlüssel im Schloss. Er stapfte in seinen eigenen Spuren durch den Tiefschnee zur Hauswand, zählte die fünf Bretter ab und hängte den Schlüssel an den Haken auf der Innenseite. Dann folgte er den anderen zu dem roten Golf, der mit laufendem Motor wartete und weißen Qualm aushustete. Er schob sich neben Thea auf den Rücksitz. Als sie losfuhren, legte er seinen Arm um sie und drückte sie an sich, ehe er sich zwischen den Vordersitzen nach vorne beugte:
»Wie ist das heute Nacht im Containerhafen denn gelaufen?« Kommissarin Toril Li blickte zu ihrem Kollegen Ola Li auf dem Beifahrersitz.
»Es hat wohl so ausgesehen, als hätte Stankic zur Waffe greifen wollen«, sagte Ola Li. »Dieser Scharfschütze vom Spezialkommando hat das jedenfalls so aufgefasst.«
»Hat Stankic denn nicht zur Waffe gegriffen?«
»Kommt darauf an, was man unter einer Waffe versteht«, sagte Ola und sah zu Toril, die ihr Lachen kaum mehr zurückhalten konnte. »Als sie ihn umdrehten, war sein Hosenschlitz auf und der Schwanz draußen. Sieht so aus, als hätte er
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