Der Erl�ser
gerne die sein konnte, die ich ihm zeigte. Ja, dass es vermutlich diese war. «
»Dann war Jon vielleicht einmal in Kroatien. Das ist doch wohl erlaubt?«
»Ja, schon. Das Seltsame ist aber, dass er mir gegenüber geäußert hat, niemals im Ausland gewesen zu sein, außer in Dänemark und Schweden. Ich habe das im Meldeamt überprüft, und auf den Namen Jon Karlsen ist tatsächlich nie ein Reisepass ausgestellt worden. Wohl aber auf Robert Karlsen. Und dieser Ausweis ist zehn Jahre alt. «
»Vielleicht hat Jon die Münze von Robert bekommen?«
»Du hast recht«, sagte Harry. »Die Münze beweist nichts. Aber sie setzt solche trägen Gehirne wie meines in Bewegung. Was, wenn Robert nie in Zagreb war? Was, wenn das Jon war? Jon hat die Schlüssel zu allen Mietwohnungen der Heilsarmee, also auch zu Roberts. Was, wenn er mit Roberts Pass und unter dessen Namen nach Zagreb geflogen ist und dort als Robert Karlsen den Mord an Jon Karlsen in Auftrag gegeben hat? Wobei es natürlich die ganze Zeit darum ging, Robert aus dem Weg zu räumen.«
Martine knabberte nachdenklich an einem Fingernagel. »Aber wenn Jon Robert das Leben nehmen wollte, warum gibt er dann den Mord an sich selbst in Auftrag?«
»Um sich das perfekte Alibi zu verschaffen. Selbst wenn Stankic gefasst werden und ein Geständnis ablegen würde, geriete Jon niemals in Verdacht. Schließlich war er ja eigentlich das Opfer. Dass Jon und Robert ausgerechnet an diesem Abend den Dienst getauscht hatten, würde wie eine Ironie des Schicksals aussehen. Stankic folgte bloß seinen Vorgaben. Und wenn Stankic und seine Chefs in Zagreb zudem feststellten, dass sie ihrem Auftraggeber das Leben genommen hatten, gab es ja keinen Grund mehr, den Auftrag zu Ende zu bringen, indem sie Jon auch noch umbrachten. Schließlich gab es ja niemand mehr, der die Rechnung bezahlen würde. Tatsächlich ist das der geniale Zug in diesem Plan. Jon konnte Zagreb so viel Geld versprechen, wie sie wollten, erst recht, da sie ja nicht einmal eine Rechnungsadresse hatten. Und keiner konnte beweisen, dass es nicht Robert war, der an jenem Tag in Zagrebgewesen war. Und Robert Karlsen, der ein Alibi hätte vorweisen können für den Zeitpunkt, zu dem der Mord in Auftrag gegeben wurde, war ja gerade tot. Dieser Plan ist wie ein logisch geschlossener Kreis, der in sich selbst aufgeht. Stell dir eine Schlange vor, die ihren Schwanz frisst, eine sich selbst vernichtende Konstruktion, am Ende ist alles verschwunden, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.«
»Ein ordentlicher Mann«, sagte Martine.
Zwei Studenten hatten begonnen, ein Trinklied zu grölen, zweistimmig, begleitet vom lauten Schnarchen eines Rekruten.
»Aber warum?«, fragte Martine. »Warum musste er Robert umbringen?«
»Weil Robert eine Gefahr darstellte. Laut Sergeantmajor Rue soll Robert Jon gedroht haben, ihn fertigzumachen, wenn er nur noch einmal in die Nähe einer gewissen Frau käme. Zuerst dachte ich, die Rede sei von Thea. Aber du hattest wohl Recht, Robert machte sich nichts aus ihr. Jon hingegen behauptete, Robert sei krankhaft besessen von Thea, so dass es im Nachhinein so aussehen musste, als hätte Robert ein Motiv, um Jon den Tod zu wünschen. Aber Roberts Drohung bezog sich wohl auf Sofia Miholjec. Ein fünfzehnjähriges, kroatisches Mädchen, das mir eben erst erzählt hat, dass Jon sie regelmäßig zum Sex gezwungen hat. Er hat ihr damit gedroht, ihre Familie aus der Wohnung der Heilsarmee zu werfen und ausweisen zu lassen, wenn sie sich weigerte oder es jemand erzählte. Doch als sie schwanger wurde, ging sie zu Robert, der ihr half und ihr versprach, Jon Einhalt zu gebieten. Leider ist Robert nicht gleich zur Polizei oder zur Führung der Heilsarmee gegangen. Er hat das vermutlich als Familienangelegenheit betrachtet, die es intern zu lösen galt. Soweit ich das mitbekommen habe, hat das ja eine gewisse Tradition in der Heilsarmee.«
Martine starrte auf die verschneiten, nächtlich blassen Felder, die draußen wie Wellen vorbeizogen.
»Das war also der Plan«, sagte sie. »Und was ist dazwischengekommen?«
»Das, was immer dazwischenkommt«, sagte Harry. »Das Wetter.«
»Das Wetter?«
»Wäre der Flug nach Zagreb an diesem Abend nicht aufgrund des Schneetreibens gecancelt worden, wäre Stankic nach Hause geflogen und hätte erst dort herausgefunden, dass er unglücklicherweise seinen Auftraggeber erschossen hatte, womit die Sache aber erledigt gewesen wäre. Stattdessen musste Stankic noch eine
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