Der Eroberer
da nicht ein«, sagte sie.
»Zieh ihm doch die Hosen runter«, sagte einer der Jungen. »Dann wissen wir es genau.«
Karl machte einen Satz und hatte den Kreis durchbrochen. Sie ließen ihn laufen.
»Geben wir ihm ein Stückchen Vorsprung«, sagte einer. Karl rannte um sein Leben.
Sie liefen lachend hinter ihm her, konnten ihn aber nicht mehr einholen. Durch die hintere Tür verschwand Karl im Haus. Seine Stiefmutter stand in der Küche. »Was ist denn los?« fragte sie.
Sie war eine große, dürre Frau, nervös und hysterisch, die dunklen Haare immer unfrisiert.
Er ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer. »Was ist los, habe ich gefragt«, rief sie hinter ihm her. Ihre Stimme war schrill. »Nichts«, sagte er. Er wollte keine Szene.
Es war kalt, als er aufwachte. Die hinterhältige Dämmerung war grau und überall nur karges, schweigsames Land. Er konnte sich kaum an den Vortag erinnern. Er wußte bloß noch, daß er stundenlang gerannt war.
Sein Lendenschurz war feucht. Er leckte sich über die Lippen und rieb sich das Gesicht. Wie immer nach einem Anfall von Migräne war er schwach und fühlte sich wie ausgehöhlt. Er sah an seinem nackten Körper herunter und erschrak. Er war klapperdürr geworden. Das Leben bei den Essenern war der Grund dafür.
Warum war er bloß in eine solche Panik geraten, als Johannes ihn gebeten hatte, ihn zu taufen? War es lediglich Ehrlichkeit gewesen – etwas in ihm, das sich gegen die Lüge wehrte, sich vor den Essenern als Prophet auszugeben? Er wußte es nicht.
Er wickelte sich das Ziegenfell um die Hüften. Er mußte versuchen, zu ihnen zurückzugehen, und sich bei Johannes entschuldigen. Vielleicht konnte er alles wieder gutmachen. Die Zeitmaschine war mittlerweile auch dort. Sie hatten sie durch die Wüste gezogen. Lediglich mit Hilfe von Hanfseilen. Falls man einen guten Schmied auftreiben konnte, bestand die Chance, daß sie repariert werden konnte. Trotzdem war die Rückreise gefährlich.
Es erhob sich die Frage, ob er gleich zurückfliegen oder versuchen sollte, sich wenigstens näher an die Kreuzigung heranzubringen. Er war nicht in die Vergangenheit eingetaucht, um die Kreuzigung an sich mitzuerleben. Ihn interessierte die Stimmung in Jerusalem während der Ostertage. Also während der Zeit, in der Jesus in die Stadt eingezogen sein soll. Monica war der Meinung, daß Jesus mit bewaffneten Revoluzzern eingebrochen war. Sie behauptete, daß alle Anzeichen darauf hindeuten. Es mochte stimmen, aber er war nicht bereit, die Anzeichen zu akzeptieren. Er war überzeugt davon, daß mehr dahintersteckte. Er hätte sich schon damit zufriedengegeben, Jesus wenigstens einmal zu sehen. Johannes hatte offensichtlich noch nichts von ihm gehört, hatte Glogauer allerdings erzählt, daß ein Prophet geweissagt habe, der Messias käme aus Nazareth. Aber es gab viele Weissagungen, und viele davon widersprachen sich.
Er machte sich auf den Weg. Soweit konnte er nicht von der Wohnstätte der Essener entfernt sein. Bald würde er die flachen Hügel am Horizont sehen. Schon nach kurzer Zeit war es sehr heiß, und das Land wurde immer karger. Das Gefühl der Erschöpfung, mit dem er aufgewacht war, wuchs. Seine Zunge war trocken, seine Beine schwach. Er war hungrig, aber nirgends etwas Eßbares. Und keine flachen Hügel am Horizont. Eine leichte Erhebung ungefähr zwei Meilen südlich. Er schleppte sich dorthin. Vielleicht sah er von dort aus eine Siedlung, wo er dann etwas zu essen bekommen konnte. Der sandige Staub wurde aufgewirbelt, wo sein Fuß hintrat. Ein paar ausgetrocknete Grasbüschel krallten sich am Boden fest, sonst nichts wie Stein.
Der Weg auf den Hügel – der viel weiter weg war, als er gedacht hatte – war beschwerlich. Er rutschte auf dem lockeren Geröll aus und fiel. Seine Hände waren aufgeschürft, sein Körper zerschunden und blutig. Er mußte mehrmals stehenbleiben und verschnaufen. Sein Geist und sein Körper waren wie betäubt vor Schmerz und Qual.
Er schwitzte unter der erbarmungslosen Sonne. Der Staub klebte an seinem halbnackten Körper. Sein Ziegenfell hing in Fetzen an ihm herab.
Das magere Land drehte sich um ihn, der Himmel schien eins zu sein mit seiner Umgebung. Nichts schien mehr stillzustehen. Als er endlich auf dem Hügel angekommen war, lag er keuchend auf dem Boden. Alles war unwirklich.
Er hörte Monicas Stimme und glaubte sie sogar kurz gesehen
zu haben.
Sei nicht so melodramatisch, Karl …
Immer wieder hatte sie ihm das an den Kopf
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