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Der Eroberer

Der Eroberer

Titel: Der Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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geworfen. Jetzt hörte er seine eigene Stimme.
    Ich bin außerhalb meiner Zeit geboren, Monica. Das Zeital
ter der Vernunft ist nichts für mich. Irgendwann werde ich mir
das Leben nehmen.
Wieder ihre Stimme.
    Schuld und Angst und dein Masochismus. Du hättest ein bril lanter Psychiater sein können, wenn du dich nicht ausschließ lich deinen eigenen Neurosen gewidmet und hingegeben hättest … »Hör auf!«
    Er rollte sich auf den Rücken. Die Sonne stach in seine Wunden.
    Das Christliche Syndrom, Karl. Es würde mich nicht wun dern, wenn du eines Tages konvertieren und Katholik werden würdest. Hast du denn gar keinen Charakter?
    »Du sollst aufhören! Laß mich in Ruhe, Monica. Geh!«
    Die Angst formt deine Gedanken. Du suchst nicht nach einer Seele. Du suchst nicht einmal nach dem Sinn des Lebens. Du suchst nur Trost. »Bitte, geh und laß mich in Ruhe, Monica.«
    Er hielt sich die Ohren zu. In seinen Haaren und dem Bart klebte der Staub. Blutkrusten übersäten den gequälten Leib. Die Sonne über ihm pulsierte im selben Rhythmus wie sein Herz.
    Mit dir geht es bergab, Karl, ist dir das nicht klar? Bergab.
Reiß dich zusammen. Du bist fähig, logische Gedanken zufas
sen, wenn du nur …
»Monica – bitte!«
    Seine Stimme klang hart und gebrochen. Über ihm am Himmel eine Schar Raben. Sie gaben ihm Antwort, und ihre Stimmen klangen wie seine eigene.
    Gott ist neunzehnhundertfünfundvierzig gestorben …
    »Wir schreiben aber das Jahr achtundzwanzig nach Christus. Gott lebt!«
    Wie du dich bloß mit einer offenkundig synkretistischen Reli gion wie dem Christentum abgeben kannst – Rabbinischer Judaismus, Stoische Ethik, Griechischer Götterkult, Orientali sches Ritual … »Das tut nichts zur Sache!«
    In deinem momentanen Geisteszustand natürlich nicht. »Ich brauche Gott!«
    Darauf läuft es hinaus. Okay. Karl. Bau dir deine eigenen Krücken. Und überleg dir dabei, was aus dir hätte werden können, wenn du es geschafft hättest, mit dir selbst auszukom men …
    Glogauer schleppte den zerschundenen Körper in die Höhe

    und stand auf dem Hügel und schrie. Die Raben flogen davon. Der Himmel verdüsterte sich.

    Danach wurde Jesus vom Geiste in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden. Und er fastete vierzig Tage und vierzig Nächte, dann hungerte ihn.
    (Matthäus 4:1-2)

    IV

    Der Besessene kam in die Stadt getaumelt. Seine Füße wirbelten den Staub auf und ließen ihn tanzen, und die Hunde bellten hinter ihm her. Sein Gesicht war der Sonne zugekehrt, die Arme hingen ihm schlaff am Körper, und seine Lippen bewegten sich.
    Das Volk verstand seine seltsame Sprache nicht, aber die Worte, die es hörte, waren mit einer solchen Überzeugung und einem solchen Fanatismus hervorgebracht, daß sich jeder fragte, ob Gott diese abgezehrte, nackte Kreatur zu ihnen geschickt habe.
    Sie konnten sich nicht vorstellen, wo der Besessene herkam.
    Die weiße Stadt bestand aus niedrigen Steinhäusern, die einen Marktplatz einfriedeten, an dem eine einfache Synagoge stand. Alte, bärtige Männer saßen davor und redeten. Sie trugen dunkle Gewänder. Die Stadt war wohlhabend und sauber und lebte von dem Handel mit den Römern. Nur zwei oder drei Bettler in den Straßen, aber selbst sie waren wohlgenährt. Die Straßen waren schattig und friedlich. Es roch nach frisch geschnittenem Holz. Der Gesang von Hobel und Säge erfüllte die Luft. Die Stadt war bekannt für ihre tüchtigen Zimmerleute. Sie lag am Rande der Ebene Jesreel, in der Nähe der Karawanenstraße zwischen Damaskus und Ägypten. Die Stadt hieß Nazareth.
    Der Besessene hatte sie gefunden, weil er jeden Wanderer, auf den er gestoßen war, danach gefragt hatte. Er war durch andere Städte gekommen – Philadelphia, Gerasa, Pella und Scythopolis – und hatte immer wieder dieselbe Frage gestellt: »Wo ist Nazareth?«
    Manche hatten ihm etwas zu essen gegeben. Manche hatten um seinen Segen gebeten, und er hatte die Hände auf sie gelegt und mit der fremden Zunge gesprochen. Manche jedoch hatten ihn mit Steinen beworfen und verjagt.
    Er hatte den Jordan auf dem römischen Viadukt überquert und war nach Nazareth gekommen.
    Die Stadt zu finden, war nicht schwierig gewesen, aber es hatte ihn Kraft gekostet, dorthin zu gelangen. Er hatte viel Blut verloren und wenig gegessen. Er war gegangen, bis er zusammengebrochen war, und war liegengeblieben, bis er sich hatte weiterschleppen können oder bis jemand gekommen war und ihn mit einem Schluck sauren

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