Der Eroberer
Migräneanfall, seit er hier war. Er hätte sich am liebsten übergeben. Die Stimme des Täufers schien aus weiter Ferne zu kommen. Um ihn herum drehte sich alles.
Als ihm die Knie weich wurden, fing seine Umgebung an zu
flimmern. Er spürte, wie Johannes ihn auffing, und hörte sich
sagen:
»Johannes, taufe mich!«
Und dann war Wasser in seinem Mund und in seinen Lungen und er hustete.
Johannes rief etwas, und das Volk zu beiden Seiten des Flusses schrie. Das Toben in seinen Ohren wurde immer lauter, er fiel ins Wasser und wurde wieder herausgezogen.
Die Essener schwankten wie Betrunkene, die Gesichter zur Sonne erhoben.
Glogauer erbrach ins Wasser, während Johannes ihn mit starkem Griff am Oberarm packte und an das Ufer führte. Ein seltsam rhythmisches Summen hinter den geschlossenen Lippen der Essener, die immer mehr in Trance zu verfallen schienen.
Als ihn Johannes losließ, hielt sich Glogauer die Ohren zu. Er würgte immer noch, aber es kam nur noch bittere Galle. Er strauchelte davon, die Ohren immer noch zugepreßt. Er rannte über das steinige Brachland, die Sonne brannte am Himmel, und die Hitze war erstickend.
Der aber wollte es ihm wehren und sprach: »Ich habe nötig, von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?«
Doch Jesus antwortete ihm: »Laß es jetzt zu; denn so geziemt es sich für uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.« Da ließ er ihn zu …
Als aber Jesus getauft war, stieg er sogleich aus dem Wasser, und siehe, die Himmel taten sich auf, und er sah den Geist Gottes herabschweben wie eine Taube und auf ihn kommen. Und siehe, eine Stimme aus den Himmeln sprach: »Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. «
(Matthäus 3:14-17)
Er war fünfzehn gewesen und in der Mittelschule gut zurechtgekommen. Er hatte in der Zeitung von den Teddy Boys gelesen, die in ganz London herumlungerten, aber die komischen Kerle in den pseudoviktorianischen Kleidern waren ihm harmlos und leicht unzurechnungsfähig vorgekommen.
Er war im Kino in Brixton Hill gewesen und anschließend zu Fuß nach Streatham zurückgegangen, weil er sein Busgeld für Eis ausgegeben hatte. Sie kamen im selben Moment aus dem Kino. Er merkte erst gar nicht, daß sie ihm folgten.
Doch dann hatten sie ihn plötzlich umstellt. Blasse Jungs mit bösen Gesichtern. Fast alle ein oder zwei Jahre älter als er. Sie gingen in die Handelsschule in derselben Straße. Den Sportplatz teilten sie mit der Mittelschule. »Hallo«, sagte er mit einem Kloß in der Kehle.
»Hallo, Kleiner«, sagte der älteste von ihnen, kaute auf seinem Kaugummi herum und grinste. »Wohin des Weges?« »Heim.«
»Soso – heim«, sagte ein anderer. »Und was machst du,
wenn du daheim bist?«
»Ich geh ins Bett.« Karl versuchte, durch den Kreis zu kommen, aber sie ließen ihn nicht. Sie drängten ihn in den zurückgesetzten Eingang eines Lebensmittelladens. Hinter ihnen brausten Autos vorbei. Die Straße war hell erleuchtet. Leute gingen vorbei, aber niemand blieb stehen. Karl bekam Angst. »Du hast deine Hausaufgaben wohl schon gemacht, was?« sagte einer mit roten Haaren, Sommersprossen und kalten grauen Augen.
»Willst du dich mit einem von uns prügeln?« fragte einer, den Karl kannte.
»Nein. Ich will mich nicht prügeln. Laßt mich in Ruhe.«
»Du hast wohl Angst, Kleiner?« fragte der grinsende Anführer. Er zog einen langen Faden Kaugummi aus dem Mund und rollte ihn über die Zunge.
»Nein«, sagte Karl. »Aber ich will mich nicht prügeln.« »Du hältst dich wohl für was Besseres?«
»Nein.« Karl fing an, am ganzen Leib zu zittern. Die Tränen traten ihm in die Augen. »Natürlich nicht.« »Natürlich nicht – sagt er, der Kleine.«
Karl machte einen Schritt nach vorn, aber sie drängten ihn zurück.
»Du bist doch der mit dem Nazinamen, oder?« fragte der Junge, den er kannte. »Glühwurm oder so, stimmt’s?« »Nein, Glogauer. Laßt mich jetzt gehen.«
»Deine Mami hat wohl Angst, wenn du nicht pünktlich
heimkommst?«
»Das ist doch kein Naziname. Der ist Jude.«
»So sieht er auch aus.«
»Bist du ein Jid, Kleiner?«
»Ein stinkender Jude ist er.«
»Na, du Jid?«
»Hört auf!« schrie Karl und stürzte sich auf sie. Einer boxte ihn in den Magen. Er stöhnte vor Schmerzen. Ein anderer stieß
ihn, und er taumelte.
Die Leute gingen immer noch gleichgültig vorbei. Ein kurzer Blick auf die Jugendlichen, und sie hasteten weiter.
Ein Mann blieb stehen, aber seine Frau zerrte an seinem Ärmel. »Misch dich
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