Der Eroberer
anzugreifen, ihm ins Gesicht zu kratzen. Ihr Atem ging röchelnd und beängstigend flach. Rolfes Magen krampfte sich zusammen. »Ich bin es, Rolfe«, wiederholte er eindringlich.
»Lasst mich hier raus«, krächzte sie heiser, kaum hörbar. »Lasst mich hier raus!«
»Ich bring dich hinauf«, sagte er mit belegter Stimme. »Wehr dich nicht, ich bring dich hier raus. «
Er legte sie sich über die Schulter, da sie zu schwach war, um die Leiter hochzusteigen. Dann kletterte er bähende nach oben. Der Wächter nahm ihm das leblose Bündel ab, und Rolfe schwang sich aus dem Erdloch.
Ihm entfuhr ein Schrei des Grauens.
Dreckverschmiert, mit wirren Haaren kauerte Ceidre auf allen vieren im Gras. Hände und Arme waren blutverschmiert, auch Gesicht und Lippen waren blutig. Die Haut an den verkrusteten, unförmig geschwollenen Fingern war aufgeschürft, die Nägel abgebrochen, tief eingerissen. Schlimmer noch, viel schlimmer war der wirre Blick in ihrem verzerrten Gesicht, glasige Augen, die sich blinzelnd an das Tageslicht zu gewöhnen suchten. Die Augen eines völlig verängstigten, vor Schmerz wahnsinnig gewordenen Tieres.
Rolfe näherte sich ihr, sie wich kriechend zurück. Ein Stich durchbohrt sein Herz. Sehr langsam ließ er sich auf die Knie neben ihr nieder. »Ceidre, ich bin es, Rolfe. Du bist frei … Alles wird gut.«
Sie sah ihm ins Gesicht, unablässig blinzelnd, voller Argwohn und Angst, erinnerte ihn an einen in der Falle gefangenen Fuchs, der jeden Moment zuschnappen würde. In Rolfe stieg ein hartes Schluchzen auf. Er hielt ihr die zitternde Hand hin, ohne sie zu berühren. »Ceidre?«
Er glaubte, etwas wie ein flüchtiges Erkennen in ihrem wirren Blick wahrzunehmen, ehe sie stöhnend den Kopf senkte. Sie keuchte immer noch röchelnd, grub die Finger in die Erde. Rolfe berührte sanft ihre Schulter. Ein Schauder durchflog sie. Doch diesmal zuckte sie nicht zurück, leistete keine Gegenwehr. Behutsam nahm er sie in die Arme.
Sie klammerte sich an ihn.
Mit ihr in den Armen kam er auf die Füße. Sein Gesicht war eine starre Maske, hinter der die Qualen seiner Seele tobten. Sie barg ihr schmutziges Gesicht an seinem Hals, ihre Tränen benetzten seine Haut. Ihr rasender Herzschlag, ihr keuchender Atem waren besorgniserregend. Sie klammerte sich an ihn, erwürgte ihn beinahe.
Seine Arme umfassten sie, stark und zärtlich zugleich.
Sein Blick suchte Beltain, der entsetzt stammelte: »Es tut mir leid. Ich hatte keine Ahnung … « Beltain wandte sich an Guy. »Es tut mir leid … Es tut mir unendlich leid!«
Guy nickte. »Sie ist dem Wahnsinn verfallen«, stellte er sachlich fest. »Das konntest du nicht ahnen. Ich habe so etwas schon erlebt. Kräftige Männer wurden wahnsinnig, wenn sie unter der Erde eingesperrt waren.« Er wandte sich an Rolfe. »Soll ich sie nehmen, Mylord?«
»Nein«, stieß Rolfe hervor, wandte sich ab und trug Ceidre zum Burgturm, durch die Halle, die Stufen hinauf, und legte sie behutsam auf sein Bett. Sie klammerte sich an ihn wie ein Äffchen, haltlos schluchzend, wollte seinen Hals nicht loslassen. Rolfe setzte sich zu ihr, hielt sie, strich über ihr zerzaustes, schmutzverkrustetes Haar. Sie weinte an seiner Brust und schlotterte an allen Gliedern. Seine große, warme Hand streichelte ihr den Rücken, immer wieder, tröstlich, zuversichtlich, zärtlich. »Schschsch«, raunte er. »Beruhige dich, Liebes, still jetzt, cherie Ich bin bei dir, und alles wird gut.«
Und dann begann sie stammelnd zu erzählen, gequält schluchzend stieß sie hervor, dass sie beinahe gestorben wäre, dass sie keine Luft mehr bekam, dass die Wände sie zu erdrücken drohten. Sie war lebendig begraben. Sie hatte geschrien und gefleht, man möge sie freilassen, doch niemand habe sie gehört. Dann habe sie versucht, die hohen Wände hinaufzuklettern, bis die Nägel abgebrochen waren und die Haut in Fetzen von den Fingern hing.
Schließlich hatte sie versucht, sich mit bloßen Händen einen unterirdischen Gang zu graben, bis sie das Bewusstsein verloren hatte. Ihre Stimme war ein heiseres, raues Wispern, tonlos und fast unhörbar nach dem anhaltenden verzweifelten Schreien.
»Sprich nicht mehr, Liebes«, raunte er seine große Hand hielt ihren Hinterkopf. »Sprich nicht, du musst deine Stimme schonen.«
Allmählich hörte ihr Zittern auf, sie lag still, das Gesicht an seine Brust gebettet. Ihre Atemzüge hatten sich ein wenig beruhigt, ohne wieder völlig normal zu sein. Hin und wieder liefen
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