Der Eroberer
Armlänge hoch geschoben hatte, verlor sie den Halt und rutschte hilflos wieder nach unten.
Etwas Warmes, Pelziges streifte ihren Fuß.
Ceidre schrie wieder heiser, röchelnd und versuchte die Wand hochzuspringen wie ein wildes Tier. Ihre Fingernägel brachen, Blut lief ihr warm die Arme herab, doch sie achtete nicht darauf, verdoppelte nur ihre Anstrengungen. Wieder und wieder versuchte sie sich einen Weg in die Freiheit zu scharren und holte übermenschliche Kräfte aus sich heraus – die Kräfte einer Wahnsinnigen.
Kapitel 45
Mit dem Morgengrauen setzte bei Rolfe die seltsame Unruhe wieder ein, die ihn am Abend zuvor umgetrieben hatte, wuchs zu einer unheimlichen Bedrohung an.
Er erwachte mit dem Gefühl unmittelbar bevorstehender Gefahr. Ihm war, als drohe ihm und seinen Männern jeden Augenblick ein feindlicher Überfall. Es hielt ihn nicht länger. »Lass die Männer wecken, wir brechen auf!« wies er Guy an, der den Befehl an seine Leute weitergab.
Das Gefühl der Dringlichkeit wuchs. Rolfe trieb seine Männer zu großer Eile an. Ständig flog sein Blick wachsam hin und her, er nahm alles Ungewöhnliche wahr, horchte auf jedes verdächtige Geräusch. Deutlich spürte er drohendes Unheil. Als die Männer schließlich weit nach Einbruch der Dämmerung das Nachtlager aufschlugen, hatte sich nichts ereignet, was seine innere Unruhe gerechtfertigt hätte. Rolfe lag schlaflos in seine Decke gehüllt und wurde das Gefühl von Unheil die ganze Nacht über nicht los.
Die Ritter erreichten Aelfgar am späten Vormittag des folgenden Tages. Rolfe hatte beinahe befürchtet, die Burg sei von Feinden angegriffen und dem Erdboden gleichgemacht worden. Der Anblick seines Burgturms und des Dorfes, friedlich in der Sonne schlummernd, erleichterte ihn, doch die böse Ahnung, die sein Herz umkrallte, wollte nicht weichen. Alice, seine pflichtbewusste, gehorsame Gattin, begrüßte ihn auf dem Burghof und eröffnete ihm, sie habe bereits ein Bad für ihn bereiten lassen. Rolfe nickte und entließ sie mit einem ungeduldigen Wink. Er wandte sich an Beltain, dessen düstere Miene ihm nicht entgangen war. »Was ist vorgefallen? Was hat sich in meiner Abwesenheit ereignet?«
»Keine besonderen Vorfälle. « Beltain zögerte. »Außer dass, sich in Lady Ceidres Kammer eine geheime Botschaft fand. «
Guy straffte die Schultern und trat näher. »Was für eine Botschaft?« fragte er.
»Von ihrem Bruder«, sagte Beltain.
In Rolfe stieg kalter Zorn hoch. »Das Frauenzimmer lernt wohl nie dazu«, knurrte er. »Bringt sie zu mir und die geheime Botschaft ebenso«, befahl er. Sie hatte also wieder Verrat begangen.
»Lasst die Gefangene aus dem Kerker frei«, befahl Beltain.
Rolfe fuhr herum. »Du hast sie in den Kerker werfen lassen?!«
»Eure Gemahlin meinte, nur so könnten wir sicher sein, dass sie keinen Fluchtversuch unternimmt.« Beltain sah Rolfe offen in die Augen. »Ich zögerte zunächst, fand es dann aber klüger, Euch eine Gefangene vorzuweisen als die Nachricht einer entflohenen Verräterin.«
Rolfe überlegte nicht lang. Mit weit ausholenden Schritten eilte er den Hügel hinunter. Sein Zorn war einer tiefen Besorgnis gewichen. Guy stapfte mit grimmiger Miene hinter ihm her, Beltain folgte den beiden. Im Laufschritt stürmte Rolfe über die Zugbrücke. Als das alte Herrenhaus und das Kellerverlies in Sicht kamen, rief er dem Wächter zu, die Falltür zu öffnen. Der Soldat zog den Eisenriegel zurück und schob die Felsplatte beiseite. Rolfe sprang ohne zu zögern in das schwarze Loch hinunter.
Blinzelnd versuchte er, seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. »Ceidre? Ceidre?«
Kein Laut, kein Anzeichen, dass sich ein Mensch in dem schwarzen, feuchten Loch befand, und einen Augenblick lang glaubte er, sie sei entkommen. Dann hörte er ein leises Röcheln, fuhr herum und nahm die Umrisse einer kauernden Gestalt wahr. »Ceidre!«
Mit einem Satz war er bei ihr und wurde mit einem heiseren tierischen Aufschrei empfangen. Er kauerte sich neben sie und wurde angegriffen. Schwach, kraftlos versuchten ihre Finger, ihm das Gesicht zu zerkratzen. Unbeirrt hob Rolfe die entkräftete Gestalt in die Arme. Sie war mit Dreck und Kot verschmiert und stank. Einen Augenblick hing sie reglos in seinen Armen, dann versuchte sie sich zu entwinden und kratzte ihn wieder.
»Ich bin es, Rolfe. Hör auf, dich zu wehren«, murmelte er. Dann rief er nach der Strickleiter.
Sie hörte nicht auf, ihn mit kraftlosen Armen und Händen
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