Der Eroberer
Ende.
Ceidre wurde von einem Wachtposten in die Kammer geführt. Er ließ sie los und schlug die schwere Tür hinter sich zu. Sie hörte, wie der Riegel mit einem dumpfen Schlag einrastete. Ein unheilvolles, endgültiges Geräusch.
Sie schlang die Arme um sich.
In dieser Kammer war Alice eingesperrt gewesen, doch der Raum war nun verändert. Das Bett war herausgeschafft, worden. Auf den nackten Dielen lagen ein Strohsack und eine Decke.
Eine Kerze war ihr zugeteilt worden, ein Becher Wasser und ein Nachtgeschirr. Der kahle Raum wirkte sehr groß.
Ceidre trat an den schmalen Mauerschlitz und spähte hinaus, Tränen verschleierten ihr den Blick. Sie war nur einen halben Tag im Kerker von York eingesperrt gewesen, und der war harmlos gewesen im Vergleich zu dem Erdloch in Aelfgar. Ein riesiges Gefängnis, das den gesamten Kellerraum unter der Burgfeste einnahm, nicht stockfinster, sondern von Fackeln an den hohen Mauern erhellt. Es gab viele Zellen, und alle waren mit Gefangenen belegt. Sie hatte nicht unter dieser furchterregenden Atemnot gelitten, obwohl die Angst ihr die Brust zugeschnürt hatte. Sie hatte zwar flach und schwer geatmet, doch der grauenvolle Wahn, ersticken zu müssen, der sie in Aelfgars engem Verlies befallen hatte, war ausgeblieben. Vielleicht lag es daran, dass noch andere Gefangene mit ihr den Kerker teilten, vielleicht lag es an der Größe des Verlieses. Ihr war eine Einzelzelle zugewiesen worden, halb so groß wie die Söllerkammer. Sie hatte sich in eine Ecke verkrochen, der Schweiß war ihr ausgebrochen, sie hatte keuchend nach Luft gerungen, aber sie hatte sich nicht wie eine Wahnsinnige die Finger an den feuchten Mauern blutig gekratzt.
Sie hatte geweint.
Der Schmerz in ihrem Herzen hatte alles andere nichtig erscheinen lassen. Es war unwichtig, ob die Mauern auf sie eindringen und sie zerquetschen würden, es war unwichtig, ob sie eines grauenvollen Erstickungstodes sterben musste. Sie weinte, von Trauer und Hoffnungslosigkeit übermannt. Sie hatte ihn verraten. Und er würde ihr nie verzeihen. Sie weinte, weil sie ihn liebte, bis sie keine Tränen mehr hatte und -nur noch eine öde Leere in ihr war.
Die Erkenntnis kam viel zu spät.
Selbst wenn die Erkenntnis früher gekommen wäre, welchen Unterschied hätte es gemacht? Sie liebte auch ihre Brüder. Sie wäre zwischen zwei unversöhnlichen Seiten hin und her gerissen gewesen. Aber sie hätte sich geweigert, Spitzeldienste zu verrichten. Doch darüber zu grübeln, was gewesen wäre, wenn … war ein müßiges Unterfangen. Es änderte nichts mehr. Er würde ihr nie vergeben.
Auf der zweitägigen Rückreise nach Aelfgar hatte Ceidre nur gelegentlich Rolfes Rücken zu sehen bekommen. Er hatte sie mit einem gewaltsamen Streich aus seinem Leben verbannt. Sie nahm es hin, so wie sie es hinnahm, dass es für sie kein Zurück gab. Gottlob hatte sie keine Tränen mehr. Nur ihr Herz verblutete wegen ihrer zerbrochenen Liebe. Und jedes Mal, wenn sie seine breiten Schultern sah, seine Stimme hörte, konnte sie den Blick nicht von ihm wenden. Er hatte nicht ein einziges Mal in ihre Richtung geblickt.
Die Dämmerung brach herein. Ceidre entschied sich dagegen, die Kerze anzuzünden, da man ihr vermutlich keine zweite bringen würde, wenn diese verzehrt war. Sie rechnete damit, nur das Nötigste zu bekommen, um am Leben zu bleiben.
Im Grunde genommen wunderte sie sich, dass sie nicht wieder in das schwarze Erdloch geworfen wurde.
Dann hörte sie, wie der Riegel zurückgeschoben wurde, und vermutete, man bringe ihr Brot und Bier, mit dem sie seit ihrer Gefangennahme zweimal am Tag versorgt wurde. Sie wandte sich ab, die Wange an die Wand gelehnt.
Doch als die Tür geöffnet wurde, wusste sie, dass er gekommen war. Sie spürte seine Gegenwart, überwältigend, kraftvoll, vibrierend vor Feindseligkeit. Ceidre fuhr mit aufgerissenen Augen herum.
Rolfe stand im fahlen Licht der Dämmerung im Türrahmen.
Ceidres Herz überschlug sich wild, hoffnungsvoll. Warum war er gekommen? Lieber Gott, gib, dass er mir verzeiht! Mehr verlange ich nicht!
Rolfe ließ den Blick durch die leere Kammer schweifen und lächelte in grausamer Genugtuung, ehe sein Blick sie durchbohrte. Ceidre las die Verachtung, den Hass in seinen Augen, und all ihre Hoffnungen schwanden. Sie sackte in sich zusammen. »Ich hatte keine andere Wahl«, flüsterte sie. »Ihr müsst mir glauben!«
Sein Mund verzog sich höhnisch. »Denkst du, mich kümmert's, ob du eine Wahl hattest
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