Der Eroberer
blickte den Ankömmlingen schweigend entgegen.
»Verlasst die Halle!« befahl Rolfe mit lauter Stimme und ließ Ceidre los, die einen Schritt zur Stiege machte.
»Nicht Ihr«, schnarrte er.
Sie blieb stehen.
»Ihr bleibt.«
Sie wandte sich um. Er durchbohrte sie mit düsterem Blick. Alice, ihre Magd und die Männer räumten die Halle.
Ceidre atmete flach und gehetzt. Niemand hatte es je fertig gebracht, sie einzuschüchtern. Und von diesem Normannen, ihrem Todfeind, würde sie sich schon gar nicht einschüchtern lassen. »Habt Ihr noch eine Buße für mich?« hielt sie ihm trotzig entgegen und breitete die Hände aus. »Vielleicht hier auf den Steinfliesen? Wir sind allein! Ihr habt es angeordnet.«
Seine Nüstern blähten sich. »Stellt meine Geduld nicht auf die Probe!«
»Geduld?«
»Es ist Euch verboten, das Haus und das Dorf zu verlassen«, entgegnete er barsch.
Ceidre hielt den Atem an.
»Habt Ihr verstanden?«
»Das könnt Ihr nicht von mir verlangen!«
»Ich kann es und ich verlange es. Ich bin jetzt der Herr auf Aelfgar, und dies ist ein Befehl. Fragt mich um Erlaubnis, und wenn es mir gefällt, gestatte ich Euch vielleicht die eine oder andere Freiheit. Auf keinen Fall werdet Ihr nachts durch die Gegend streifen!«
»Ihr seid nur erzürnt«, entgegnete Ceidre aufgebracht, »weil ich Euch einen falschen Namen genannt habe!«
»O ja«, entgegnete er leise. »Ich bin erzürnt. Und Ihr könnt von Glück sagen, dass Ihr so glimpflich davongekommen seid, Ceidre.«
Sein Tonfall gefiel ihr nicht. »Glimpflich?« höhnte sie. »Nennt Ihr diese Verfolgung glimpflich?«
»Verfolgung«, höhnte er. »Ich verfolge Euch nicht, Ceidre.«
»Nein? Wie nennt Ihr es denn?«
»Als Euer Herr und Gebieter kann ich Euch nach meinem Gutdünken bestrafen.«
»Hättet Ihr mir meine Kräuter nicht weggenommen, wäre ich nicht gezwungen gewesen, neue zu sammeln!«
»Hättet Ihr meinem Mann kein Gift gegeben, hätte ich Euch den Beutel nicht weggenommen.«
»Hättet Ihr mich nicht zur Gefangenen gemacht, hätte ich Guy den Trank nicht verabreicht!«
»Wärt Ihr eine echte Lady, hätte Guy Euch nicht bewachen müssen.«
Ceidre wusste nicht, ob er mit seiner Kränkung auf ihre niedere Geburt oder ihren bösen Blick ansprach. »Verhöhnt Ihr mich, weil ich ein Bastard oder eine Hexe bin?« entgegnete sie bitter.
»Weder noch«, antwortete er aufgebracht, trat auf sie zu und rüttelte sie. »Ich habe es nicht nötig, andere zu verhöhnen. Ihr versteht mich falsch. Ich spreche von Eurem Wesen. Ihr seid keine demütige, langweilige Lady, sondern ungestüm und unvorhersehbar wie der Krieg. Und nicht weniger aufregend.«
Seine Worte trafen sie unerwartet. Sie stand reglos. Ungestüm … unvorhersehbar … aufregend. Sein Blick spießte sie auf. Dann gab der Normanne sie frei. Seine Berührung fehlte ihr. Sein Blick senkte sich auf ihren Mund, verweilte sinnend. Dann wandte er sich jäh ab und stieg die Stufen hinauf. Ceidre fühlte sich verlassen und verwirrt. Und sie verspürte den verzweifelten Drang zu weinen.
Kapitel 12
»Wach auf. «
Ceidre war vor Erschöpfung eingeschlafen, obwohl sie die Absicht gehabt hatte zu warten, bis es ruhig im Haus geworden war, um sich zu Alice zu schleichen und mit ihr über die bevorstehende Eheschließung zu sprechen.
»Wach endlich auf! «
Alice zog sie grob an den Haaren. Ceidre schreckte von ihrem Strohsack hoch und stützte sich auf einen Ellbogen.
Ihr Nachtlager befand sich auf einer Pritsche in der Halle, wie bei den anderen Bewohnern auch. »Was ist? Alice?
Was ist los?«
»Steh auf«, zischte Alice. »Wir müssen reden.«
Es war mitten in der Nacht. Das Schnarchen der Normannen und Sachsen erfüllte den großen Raum. Ceidre stand benommen auf und griff nach dem Umhang, den sie über ihr langes grobes Leinenhemd warf. »Kann das nicht warten?«
Alice nahm sie bei der Hand und zog sie nach draußen vor den Küchentrakt. Im fahlen Schein des Vollmonds blickte Ceidre in das wütende Gesicht ihrer Schwester.
»Ich warne dich, Ceidre. Ich heirate ihn, und du wirst mich nicht davon abbringen!«
Ceidre sah sie ungläubig an.
»Halte dich von ihm fern mit deiner Hurenlist«, fauchte Alice. »Hast du mich verstanden?«
»Du kannst doch nicht im Ernst den Wunsch haben, ihn zu heiraten! «
»Doch! Er gehört mir! Auch wenn er mit dir herum tändelt – wie es unser Vater mit deiner Mutter getan hat –, so wird er dich niemals zur Frau nehmen!«
Ein schmerzhafter Stich
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