Der Eroberer
Schwester. Ceidre hatte sicher einen Bann über ihn gesprochen, sonst würde er sie nicht so lüstern ansehen, wie kein anderer Mann es je gewagt hatte. Oder war er selbst kein Menschenwesen? Nicht aus Fleisch und Blut, sondern ein Geschöpf des Satans? Alice schauderte.
Nein, er war ein Mann aus Fleisch und Blut. Sie hatte seinen männlichen Körper gesehen, sehnig, muskelbepackt, mit Narben übersät – wie hässlich. Aus einem unerfindlichen Grund fürchtete er sich nicht vor Ceidres Blick, im Gegenteil, er schien von ihrer wilden, ungestümen Art magisch angezogen.
Alice hasste ihre Schwester so sehr, dass sie fürchtete, an ihren Gefühlen zu ersticken.
Sie hatte sich nie vor ihrer Schwester gefürchtet – dafür war ihr Widerwillen zu groß. Und im Lauf der Jahre wurde sie immer kühner, denn Ceidre hatte nie einen Fluch über sie gesprochen. Alice glaubte, es liege daran, dass sie Schwestern waren und weil sie damit ihren Vater erzürnt hätte. Vielleicht aber hatte Ceidre auch keine Macht über Alice. Dieser Gedanke gefiel ihr ausnehmend gut.
Nun ritt Rolfe durch die Nacht und suchte sie. Alice wünschte Ceidre den Tod. Rolfe fürchtete sich ebenso wenig vor ihr wie ihr Vater. Der Gedanke an ihren Vater machte Alice krank. Die Art, wie er Ceidre verhätschelt hatte, wie er seiner Hure seine Zuneigung in aller Öffentlichkeit gezeigt hatte, während er ihr und ihrer Mutter nur selten ein Lächeln schenkte, erboste sie noch heute. Auch ihre Brüder hatten Ceidre stets den Vorzug gegeben, hatten sich nicht um ihren bösen Blick gekümmert, hatten sie geherzt und gekost. Jeder, der Alice etwas bedeutete, hatte Ceidre ihr vorgezogen. Nur die, die ihr gleichgültig waren, wie der junge, pickelige Edward, mit dem sie verlobt war, mieden Ceidre und gaben Alice den Vorzug. Sie wünschte, Rolfe möge nur ein einziges Mal angeekelt vor Ceidre zurückweichen. Sie wusste, wie empfindlich ihre Schwester auf Zurückweisung reagierte.
Nein, Ceidre sollte ihr die letzte Chance auf eine Vermählung nicht zerstören, das schwor sich Alice.
Und ein Plan nahm in ihrem Kopf Gestalt an.
Die Suche dauerte bereits eine Stunde. Der fahle Schein des Vollmonds erhellte die Nacht, als Rolfe seinen Hengst zügelte und in die, Stille horchte. Kein Laut war zu hören, kein Grillengezirp, kein Eulenschrei, nicht einmal der Wind rauschte in den Blättern. Er stellte sich in den Steigbügeln auf. Auf dem nahen Hügel, in der Talmulde und vom Hang des nächsten Hügels konnte er die flackernden Lichtpunkte der, Fackeln sehen, die seine Männer trugen, während sie die Gegend durchkämmten. »Ceidre! Ceidre!«
Keine Antwort. Rolfe machte sich mittlerweile Sorgen, dass ihr ein Unglück zugestoßen war. Wölfe oder Banditen. Plötzlich hörte er ein Geräusch und fuhr herum. Ein Licht näherte sich. Es war nur einer seiner Männer. Und dann machte sein Herz einen Freudensprung. »Mylord! Ich habe sie«, rief sein Vasall. »Ich habe sie gefunden.«
Rolfes Mund wurde zu einem schmalen Strich. Er gab seinem Gaul die Sporen und ritt Beltain entgegen. »Gut gemacht«, lobte er.
»Lass mich runter, du Tölpel«, stieß Ceidre zwischen den Zähnen hervor. Sie lag bäuchlings vor Beltain über dem Pferd.
»Herr?« fragte Beltain.
Rolfe juckte es in den Fingern, ihr den Hintern zu versohlen. »Lass sie runter.«
Ceidre glitt vom Pferd und stand keuchend vor ihm. »Was hat das zu bedeuten?! «
Rolfe beugte sich aus dem Sattel, umfing ihre Mitte und schwang sie vor sich in den Sattel. »Reizt mich nicht noch mehr! « warnte er. Ceidre schwieg beim drohenden Klang seiner Stimme. Sie saß seitlich auf seinem sehnigen Schenkel. »Gib den anderen Zeichen, die Suche zu beenden«, befahl Rolfe, drückte dem Pferd die Sporen in die Flanken und galoppierte nach Aelfgar zurück.
Ceidre presste den Korb mit den Kräutern an sich. Wieso war er so wütend? Wieso hatte er seinen Männern befohlen, sie zu suchen? Es ging ihn nichts an, was sie machte. Er hatte kein Recht, sie als sein Eigentum zu behandeln. Nur wenn sie ihn als den neuen Herrn auf Aelfgar anerkannte, war sie sein Besitz.
Er sprach kein Wort während des schnellen Ritts. Vor dem Herrenhaus schwang er sich aus dem Sattel und zog Ceidre grob mit sich. Das Ross übergab er einem Knappen. Ohne seinen Griff an ihrem Ellbogen zu lösen, stieß er sie in die Halle. Einige Männer waren bereits zurückgekehrt, saßen beim Würfelspiel und tranken Bier. Alice hob den Kopf von ihrer Handarbeit und
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