Der Eroberer
ihr Wunsch sein, ihn zu heiraten. Ceidre würde alles tun, um sie vor dieser Ehe zu bewahren – selbst wenn es bedeutete, dem Bräutigam Gift zu verabreichen.
Nein. Sie hatte noch nie jemandem etwas Böses getan, weder Mensch noch Tier. Es musste eine völlig ausweglose Situation eintreten, ehe sie die von der Großmutter sorgfältig erlernten Künste dafür nutzen würde, jemandem Schaden zuzufügen, statt zu heilen. Nein, sie musste einen anderen Weg finden.
In der großen Halle des Herrenhauses saß Rolfe am Kopfende des langen Hochtisches mit Alice an seiner Seite. Er trug ein weites Hemd, Wollhose und Schuhe und hatte das Schwert umgegürtet. Seine Gefährten saßen am Tisch und langten herzhaft zu, die, die keinen Platz gefunden hatten, aßen im Stehen. Guy saß zu seiner Rechten, Athelstan zu Alice' Linken. Die Braut berührte Rolfes Hand mit schmalen, bleichen Fingern. »Mylord? Mundet Euch der Wein nicht?«
Der Wein schmeckte abscheulich, doch das sächsische Bier war er auch leid. »Er ist genießbar.«
»Ihr esst gar nicht«, beharrte Alice. »Schmeckt Euch das Mahl nicht?«
»Es schmeckt mir«, antwortete er zerstreut, obgleich er noch keinen Bissen angerührt hatte. Wieder wanderte sein Blick durch die Halle. Wo war sie nur?
Soweit hatte er nicht gehen wollen. Er war wütend gewesen, war immer noch wütend, dass sie es gewagt hatte, ihn aus einer Laune heraus zu belügen. Und dann hatte sie auch noch die Stirn gehabt, ihn in seinem Gemach aufzusuchen, während er nackt im Badezuber saß. Er hatte seinen sündigen Drang nicht unterdrücken können. Ihm den Rücken zu waschen war wohl die geringste aller möglichen Strafen gewesen, die er ihr hatte auferlegen können. Als sie aber den Lederbeutel an sich gerissen hatte und hatte fliehen wollen, hatte er alle Vernunft vergessen und mit dem Instinkt eines Jägers gehandelt. Er hatte zugepackt. Wäre Alice nicht aufgetaucht, hätte er sie auf der Stelle genommen.
Er begehrte sie rasend und musste sich Beherrschung auferlegen, schließlich sollte er demnächst ihre Schwester heiraten. Viele Lords würden bedenkenlos die eine heiraten und die andere nehmen, zumal Ceidre nur ein Bastard des alten Aelfgar war. Doch so etwas widerstrebte Rolfe. Als er Ceidre für eine Bauernmagd gehalten hatte, hatte er keine Bedenken gehegt, sich mit ihr auf dem Waldboden zu wälzen. Nun aber war sie die Schwester seiner Braut. Er wünschte, von anderer Wesensart zu sein, ohne Scheu, Alice zur Frau zu nehmen und Ceidre zur Geliebten. Doch es war nun einmal nicht seine Art, er brachte es nicht über sich.
Also musste er auf sie verzichten. Und er schwor sich hoch und heilig, sich zu beherrschen.
Aber wo steckte sie nur?
»Mylord, soll ich Euch etwas anderes zubereiten lassen, etwas, das mehr nach Eurem Geschmack ist?«
Die Fürsorglichkeit seiner Verlobten würde ihm bald auf die Nerven gehen. Dabei fürchtete sie nur, ihn als Ehemann zu verlieren. Sie wollte um jeden Preis verheiratet sein, denn bald würde sie keinen passablen Gatten mehr finden.
Rolfe wollte sie beruhigen, obwohl ihm der Sinn nicht danach stand. »Lady Alice, an dem Mahl ist nichts auszusetzen, ich habe nur keinen Appetit. Wieso ist Eure Schwester nicht in der Halle?«
Alice versteifte sich. »Ceidre tut, was ihr gefällt. So war sie immer schon. Oft ist sie mit den Mägden in der Küche, wo sie auch hingehört. Manchmal sieht man sie tagelang nicht. Wer weiß, wo sie sich herumtreibt, um ihre Hexenkünste auszuüben.«
In Rolfe kochte der Zorn. Er stand abrupt auf. »Ihr wagt es, Euch meinen Anweisungen zu widersetzen?«
Alice schrie erschrocken auf, ihre Hand flog an ihren Mund. »Verzeiht! Ich vergaß, dass Ihr mir verboten habt, über sie zu sprechen! Aber es ist nur die Wahrheit!«
»Eure Zunge trieft vor Eifersucht.«
Alice straffte die Schultern. »Ich bin nicht eifersüchtig auf das Balg einer Hure.«
»Geht mir aus den Augen! « befahl er barsch. »Ich bin ungehalten.«
Alice erbleichte und floh die Treppe hinauf. Rolfe wandte sich an Athelstan. »Warum hasst sie ihre Schwester?« Er sprach gedämpft. Nur die in der Nähe sitzenden Männer konnten ihn hören.
»Ihr habt es wohl bemerkt, Mylord«, antwortete Athelstan. »Es ist die Eifersucht.«
»Wäre sie nicht so giftig, wäre sie recht hübsch.«
»Es ist nicht ihre Schuld. Es war ihre Mutter.«
»Erzählt.« Rolfe nahm wieder Platz.
»Graf Aelfgar liebte seine erste Frau über die Maßen – Lady Maude, die ihm zwei
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