Der Eroberer
er sie zu Tode prügeln ließ, sie würde ihm ihre Angst nicht zeigen. Der Zorn hatte seine Augen und seine Züge noch mehr verdunkelt.
Plötzlich aber veränderte sich sein Gesichtsausdruck, er stutzte, sah sie verdutzt an.
Viele Menschen hatten Ceidre so angesehen, als sie ihr Auge zum ersten Mal wahrnahmen. Erst stutzten sie, dann folgten Verwirrung, Verstehen und danach Entsetzen. Der Gefolgsmann hinter dem Normannen wich zurück. »Ich habe davon gehört«, flüsterte er unsicher, ohne die Augen von Ceidre zu wenden. »Sie hat den bösen Blick. «
Auch Rolfe sah sie unverwandt an. Ceidre hasste ihre Entstellung, die ihr das Leben schwermachte, solange sie denken konnte: Gelegentlich drehte ihr rechter Augapfel sich ohne ihr Zutun nach außen. Es geschah nicht oft, meist nur, wenn sie sehr müde oder sehr beunruhigt war, und man bemerkte es nur, wenn man nahe vor ihr stand und sie genau fixierte. Die Menschen dachten, sie könne in zwei verschiedene Richtungen gleichzeitig sehen – was aber nicht stimmte. Fremde, denen ihre Missbildung auffiel, bekreuzigten sich beim Anblick ihres ›bösen Blickes‹ und hielten Abstand zu ihr. Die Dorfbewohner von Aelfgar, ihre eigenen Leute und Verwandten mütterlicherseits, die sie lange genug kannten, wussten, dass sie nichts Böses in sich hatte., Allerdings bestärkte der Umstand, dass sie sich wie ihre Großmutter auf das Heilen von Kranken verstand, die Menschen in ihrem Glauben, sie sei eine Hexe. Daher begegneten ihr auch Verwandten mit einer gewissen Scheu. Nur ihre Brüder ließen sich davon nicht beeindrucken, wofür Ceidre Gott immer wieder dankte. Morcar allerdings hatte sie einmal gebeten, ein junges Mädchen zu verhexen, das ihn seiner Ansicht nach zu lange zappeln ließ …
Ceidre errötete, verabscheute ihre Missbildung mehr denn je, hasste es, den Blicken dieses Fremden ausgesetzt zu sein.
Sein kühler blauer Blick wanderte bedächtig über ihre Gestalt und kehrte wieder zu ihrem rechten Auge zurück.
Dann sprach er. »Sie ist keine Hexe. Sie ist aus Fleisch und Blut. Mehr nicht. «
»MyLord«, widersprach Guy unsicher. »Seid vorsichtig!«
Der Normanne stand drohend über ihr, sein Schwert in der Scheide, die Fäuste geballt. »Seid Ihr Lady Alice?«
Ceidre blinzelte verdutzt. Und dann begriff sie. Er verwechselte sie mit ihrer Halbschwester. Ceidre war nicht dumm. Alice war von hoher Geburt und dem Stande nach Ceidre überlegen. Diesen Umstand konnte Ceidre sich jetzt zunutze machen, um zu verhindern, dass ihr Gewalt angetan wurde – oder Schlimmeres. »Ja«, antwortete sie trotzig.
Ihre Antwort schien ihm zu gefallen, denn plötzlich lächelte er. Ceidre war verblüfft, nicht, weil er lächelte, sondern dass er überhaupt zu einem Lächeln fähig war. Als er sie im Galopp verfolgt hatte, hatte er ausgesehen wie ein rachsüchtiger heidnischer Gott. Nun erst fiel ihr auf, dass er atemberaubend schön war mit seinen kurzen goldenen Locken, den blauen Augen und den leuchtendweißen Zähnen. Sie konnte den Blick nicht von seinem kühn geschnittenen Antlitz wenden.
»Wie denkst du darüber, Guy?« fragte er seinen Vasallen.
Guy antwortete nicht. Sein Entsetzen war Antwort genug.
Ceidre gefiel die besitzergreifende, dreiste Musterung des Normannen ganz und gar nicht. Ihr Zorn wallte von neuem auf; und noch etwas – Beklommenheit. Sie machte sich daran aufzustehen. Er reichte ihr seine Hand, die sie entrüstet von sich stieß. Sie brauchte seine Hilfe nicht. Wieso hatte er eigentlich keine Angst vor ihr, jetzt, da er die Wahrheit wusste? Sein einnehmendes Lächeln schwand. »Mein Fräulein«, sagte er förmlich. »Was habt Ihr so weit weg von Aelfgar zu schaffen? In diesem Bauerngewand? Es sind unsichere Zeiten.«
Machte er sich lustig über sie? »Was geht Euch das an? Bin ich Eure Gefangene und Euch Rechenschaft schuldig?
« verlangte sie mit erhobenem Kinn und blitzenden Augen zu wissen und bemühte sich, ihr Beben zu verbergen.
Sein Mund wurde zu einem schmalen Strich, und es dauerte eine Weile, ehe er antwortete. »Ihr seid nicht meine Gefangene. Ich begleite Euch nach Aelfgar zurück, damit Euch nichts zustößt.«
»Ich brauche keine Begleitung«, erwiderte Ceidre bissig. »Es sind nur etwa vier Meilen.«
»Habt Ihr nicht gelernt, Achtung vor Euren Männern zu haben?«
»Vor unseren Männern – ja.«
Er blickte sie unverwandt an. »Ich werde Euch nach Aelfgar begleiten. Wir schlag-en hier unser Nachtlager auf.«
»Ihr behandelt mich
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