Der Eroberer
Ihr Ehrgeiz konnte nur befriedigt werden, solange sein Erfolg gesichert war. Rolfe hatte ihr eingeschärft, nichts in der Sache zu unternehmen und ihre Augen und Ohren offen, ihren Mund dagegen verschlossen zu halten. Eine Verbündete wie sie war genau das, was er brauchte, um sich und seine Position auf Aelfgar zu schützen. Ein unerwarteter Glücksfall, ein Geschenk seiner Gemahlin.
Wie sollte er mit der Hexe verfahren? In seinem Zorn hätte er am liebsten mit der Faust gegen die Wand geschlagen, ließ es aber lieber bleiben, da er sich lebhaft an die Schmerzen erinnerte, als er die schwere Tischplatte mit seiner Faust zertrümmert hatte.
Alice hatte die Situation scharfsinnig durchschaut. Ceidre war in der Tat eine Bedrohung, gefährlicher als eine Spionin, da sie ihn persönlich hasste. Das wusste er, hatte es immer gewusst. Sie war dem Wachtposten einmal entschlüpft und würde es wieder tun. Es gab nur zwei Möglichkeiten, mit ihr fertig zu werden, wie Alice ganz richtig bemerkt hatte: Entweder er sperrte sie ein oder verheiratete sie und schickte sie fort.
Rolfe fluchte gotteslästerlich. Er brachte es nicht über sich, sie wegzuschicken, und weigerte sich, Überlegungen anzustellen, warum er sich weigerte, sie durch eine Vermählung loszuwerden. Sie einzusperren war ihm gleichermaßen zuwider. Doch keinesfalls durfte er die Situation so belassen. War er nicht bereits am Fluss zu dieser Schlussfolgerung gelangt? Zu wissen, dass Alice ihm gute Dienste leisten konnte, sollte ihm Ansporn genug sein, Ceidre loszuwerden. Andernfalls müsste er sie ständig in Schutz nehmen und fadenscheinige Entschuldigungen für ihr hinterhältiges Verhalten finden, so lange, bis aus Rolfe von Warenne, dem getreuen Gefolgsmann des Königs, endgültig ein Verräter geworden war.
Diesmal wäre es nicht schwer, sie in Schutz zu nehmen. Er könnte Alice gegenüber behaupten, er übe lediglich Nachsicht mit Ceidres arglistigem Tun, da er sich davon erhoffte, das Versteck ihrer Brüder ausfindig zu machen.
Welche Lüge. Wollte er tatsächlich eine Betrügerin unter seinem Dach dulden?
Er war Rolfe von Warenne, der Graf von Aelfgar. Er war mit Herzog Wilhelm aus der Normandie in den Krieg nach England gezogen. Seinem Lehensherrn hatte er alles zu verdanken, was er erreicht hatte. Wegen Ceidre hatte er bereits die Hälfte seiner Besitztümer eingebüßt, das Kastellanamt von York. Alice hatte vollkommen recht. Diese Frau wäre sein Untergang, wenn er ihr nicht Einhalt gebot. Das war ihm seit geraumer Zeit klar. Nun galt es konkrete Maßnahmen gegen ihren Verrat zu ergreifen.
Sie weiterhin in Schutz zu nehmen, wäre ein Verstoß gegen all seine Prinzipien. Er wäre nicht mehr als Befehlshaber glaubhaft, nicht mehr als Anführer seiner Ritter; er würde sein Wertgefüge verraten, seine Tapferkeit und Entschlusskraft einbüßen. Rolfe hatte in seinem bisherigen Leben stets gewusst, was richtig und was falsch war, und hatte nach diesen Grundsätzen gehandelt. Nun war nichts mehr klar.
Nein, dachte er, und sein Verstand klammerte sich an einen Strohhalm. Wenn er sie nicht beschützte, musste es ein anderer tun.
Plötzlich hellten sich Rolfes düstere Züge auf, als ihn die Lösung des Problems wie eine Erleuchtung traf. Er riss die Tür auf und brüllte nach Guy.
»Was?« entfuhr es dem bleich gewordenen Guy.
Rolfes Lächeln war kühl, hart. »Du wirst Ceidre heiraten«, wiederholte er leise.
Guy schnappte nach Luft.
»Morgen wird das Aufgebot bestellt«, fuhr er sachlich fort. »Übermorgen findet die Trauung statt. Ich erteile dir für diesen Tag Urlaub.«
Guy rang um Fassung, doch der Schreck war ihm sichtlich in die Glieder gefahren. »Wie Ihr befehlt, Mylord.«
»Du bekommst selbstverständlich eine Mitgift.« Diesmal war Rolfes Lächeln echt und herzlich. »Das Lehen Dumstanbrough mitsamt dem Dorf. Wir werden morgen die Grenzen deines neuen Besitzes abreiten. Was deine Dienstzeit anbelangt … Nun, du weißt, Guy, dass ich. dich dringend brauche. In diesem Jahr wirst du mir dreihundert Tage zur Verfügung stehen. Wenn Aelfgars Grenzen im nächsten Jahr gesichert sind, werden wir deine Dienstzeit entsprechend verkürzen.«
Guy hatte glänzende Augen bekommen. Mit dem Lehen ging für ihn ein heiß ersehnter Wunschtraum in Erfüllung.
Dumstanbrough war zwar nur ein Weiler von nicht mehr als zwölf Bauernkaten mit den umliegenden Ländereien; was zählte, war die Tatsache, dass er damit eigenen Besitz vorweisen konnte,
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