Der erschoepfte Mensch
eingezogen worden war, erwies sich rückkehrend zerrüttet an Seele und damit auch Leib. Erst seit den 1990er Jahren konzentriert sich ein Zweig der Psychotherapieforschung auf die seelischen Traumatisierungen der Kriegsgeneration, vor allem der Männer, und dies gibt interessante Aufschlüsse, welches Männerrollenbild und welches Verhalten Frauen gegenüber sie an ihre Kinder weitergegeben haben. 169
Zeigten die Propagandafilme 170 des Dritten Reiches den soldatischen Mann, der sich schlussendlich für größere Ideen aufopfert und dabei von einer hingebungsvoll duldsamen Frau unterstützt wird – und nicht den Verlockungen meist fremdländischer Verführerinnen oder heimtückischer Verräter erliegt –, folgten in der Nachkriegszeit, abgesehen von einigen Kunstwerken, die wagten, seelisch kaputte Menschen zu zeigen wie Helmut Käutners »Die Mörder sind unter uns«, im deutschsprachigen Raum Heile-Welt-Romanzen mit bevorzugt Förstern in der Heldenrolle. Amerika lieferte analog Wild-West-Helden – oder konsumglückliche Partyjugend mit Popcorn und Coca-Cola, die Sowjetunion »Pflicht über Neigung«, verpackt in Liebesgeschichten aus der Kolchose, Italien und Frankreich Alltagskomödien. Erst in den 1960er Jahren, und da vor allem aus Schweden, tauchten immer mehr gesellschaftskritische Filme auf, in denen nicht nur Strahlemänner über Bösewichte siegten und Frauen nach dem Motto (Filmtitel aus 1958) »Sei schön und halt den Mund« höchstens sekundieren durften.
In der psychotherapeutischen Arbeit fällt auf, wie sehr das Agieren der Filmhelden und weiblichen Stars das Sozial- und insbesondere Sexualverhalten der jeweiligen Generation jugendlicher Zuseher/innen prägt. Wer in den 1950er Jahren Teenager war, schweigt depressiv wie John Wayne oder James Dean, tobt eifersüchtig wie Gina Lollobrigida oder Sophia Loren oder dümmelt à la Marilyn Monroe oder Brigitte Bardot. In den 1960er Jahren begann der Siegeszug empfängnisverhütender Mittel und damit in den Filmen der folgenden Jahrzehnte zunehmende Details sexueller Freizügigkeit – zuerst noch bieder (wie in den »Aufklärungsfilmen« Oswalt Kolles), dann immer pornografischer. Je mehr körperliche »Action« in die Filmhandlungen eingebaut wurde, desto mehr verschwand die Darstellung von Liebe.
Liebe auszudrücken verlangt hohes schauspielerisches Können. Gary Cooper in »Wem die Stunde schlägt« konnte das noch, oder auch O.W. Fischer, Maria Schell, Ruth Leuwerik. Ich las einmal, dass Ingrid Bergman kritisiert wurde, weil sie in Liebesszenen immer gleich zu »schmachten« begonnen hätte. Wie abwertend! Aber verständlich – wenn von Seiten der Regie Coolness und Sachlichkeit gefordert wird und man damit bei den Jurys der Filmfestivals eher Erfolge einheimst. Oder die Zeit zum Proben gestrichen wird, wie mir viele meiner Schauspieler-Klient/innen erzählen; sie müssten sofort die Szene »bringen«, Zeit ist Geld, Wiederholungen gäbe es nur, wenn das Wetter kippt, aber nicht wegen Verbesserungsvorschlägen in der Darstellung.
Damit zeigt sich wieder, wie der Zeitgeist des Tempomachens auch dort wirkt, wo man die Chance bieten könnte, vorbildhaftes Zusammenwirken von Menschen in Liebesbeziehungen zu zeigen. Aber will »die Gesellschaft« wirklich Menschen, die einander liebevoll begegnen und damit Energie spenden?
Dass Liebe und Sexualität zusammengehören, deutet der Hamburger Sexualwissenschafter Gunter Schmidt, in historischen Dimensionen betrachtet, als »brandneu«, denn, so schreibt er: »Nämlich die Vorstellung oder genauer das Ideal: dass Liebe und Sexualität zusammengehören, d.h. Sexualität besonders intensiv und erfüllend ist, wenn sie in Liebe geschieht, und dass Liebe sexuellen Ausdruck braucht, um sie zu verwirklichen (ich formuliere dies etwas pathetisch, weil diese Vorstellung auch pathetisch ist); dass Sexualität Intimität ist, d. h. sich nah sein, Geborgenheit, Vertrautheit; dass Sexualität eine wichtige oder gar die wichtigste Grundlage von Partnerschaft und Ehe ist; dass eine befriedigende Sexualität eine besonders wichtige Voraussetzung für Lebensglück ist.« 171 Entstanden sei diese moderne Vorstellung als Folge der sozioökonomischen Veränderung der Lebenswelt im 20. Jahrhundert.
Höhere Produktivität durch Einsatz von Maschinen, damit verbesserte Ernährungsbedingungen und geringere Kindersterblichkeit brachten im 19. Jahrhundert den für die Industrialisierung benötigten Bevölkerungsanstieg, aber
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