Der erschoepfte Mensch
Lachen und die darin zum Ausdruck kommende dialektische und paradoxe Wahrheit sind so fundamental, dass es keinen besseren Test für geistige Gesundheit gibt als den Humor. Es ist bezeichnend, dass konkurrenzorientierte oder zwanghafte Seelen wenig Zeit und Raum haben, viel zu lachen. Wo der Humor in die Ghettos des Wettbewerbs und des Zwangs eindringt, ist es immer ein Lachen auf Kosten anderer, ein sadistischer Slapstickhumor – kein Lachen über sich selbst oder mit anderen.« 196
In gleicher Weise warnt Ernest Rossi, dass während des ultradianen Stresssyndroms (vgl. oben, S. 41f.) Menschen ihre normalen kognitiven und verbalen Fähigkeiten, ihre Geduld und auch die Fähigkeit, andere emotional zu unterstützen, verlieren. Im besten Fall geben sie Rückzugssignale: Sie verstecken sich dann hinter einer Zeitung oder vor dem Fernseher – ich ergänze: oder dem Computer mit oder ohne Pornoprogramm –, verschwinden in ihren Zimmern oder im Hobbyraum. 197
Viele Eltern pubertierender Jugendlicher sorgen sich, ihr Nachwuchs könnte überhaupt im Chatroom verschollen gehen. Diese Sorge teile ich nicht: Die Jungen tauchen spätestens dann aus den Weiten des world wide web auf, wenn sie sich verliebt haben. Aber wie sollen sie jemanden kennenlernen, wenn sie dauernd am Computer hängen, lautet dann die nächste Frage. Wenn sie sich an einem Flash Mob beteiligen – einer über SMS organisierten Gruppenaktivität mit – hoffentlich, aber das ist er ja erfahrungsgemäß auch – humorigem oder auf andere Weise salutogenem Inhalt.
Frust und Ärger loszulassen
ist eine Kunst.
Frust und Ärger loszulassen ist eine Kunst. Jugendliche entwickeln dazu ihre eigene Kultur, fernab der Erwachsenen. Das Wenigste davon stellt sich derart dar, dass man Angst oder Sorge haben müsste – nur genau dieses negative Wenigste wird in den Medien publiziert, denn »only bad news are good news«; diese Selektion von Nachrichten bietet aber auch Anlass und Gelegenheit, zu überprüfen, was Horrormeldungen auslösen.
Angst – das Wort stammt vom lateinischen
angustiae
, Enge – führt tatsächlich zu Verengungen: nicht nur der Blutgefäße, was man daran sieht, dass jemand »weiß vor Schreck wird«, weil »alles Blut aus dem Gesicht weicht«, sondern auch der Körperhaltung, die zeigt, dass die Schultern nach vorn zusammengenommen und der Rücken gekrümmt wird, um Brust und Bauch, die Weichteile, zu schützen. Diese Körper- wie Geisteshaltung kann chronisch werden. Wenn man das weiß, kann man bewusst gegensteuern, denn allein die Veränderung der Körperposition ändert auch den Gedankenzug. Körper, Seele und Geist sind ja eine Einheit – man merkt es nur nicht immer gleich. Genau deswegen ist die Überprüfung der körperlichen Haltung, die man alltäglich im Beruf einnimmt, so wichtig!
Eine melancholische oder phlegmatische Haltung unterscheidet sich wesentlich von einer sanguinischen oder cholerischen. Man braucht nicht viel nachzudenken, welche davon die salutogenste ist!
Der amerikanische Soziologieprofessor Erving Goffman schrieb ein ganzes Buch darüber, dass wir alle immer Theater spielen 198 , und eine systemtherapeutische Intervention rät sogar »Fake it until you make it!« – flott übersetzt: »Tu einfach als ob, bis es dir zur Gewohnheit geworden ist!« (Übrigens: Auch in der Sexualtherapie wird oft empfohlen, Orgasmen zu spielen, um Hemmungen, sich zu bewegen oder Laute von sich zu geben, zu überwinden.)
Weshalb also einen schwarz- oder gelbgalligen oder auch schleimigen Menschen spielen, wenn man sich auch blutvoll anlegen kann?
BACK TO THE ROOTS
»Bewusst oder unbewusst sind wir alle Schauspieler in diesem Leben und spielen den Zuschauern eine Rolle und einen Stil vor, der ihnen zusagt«, schmunzelt Lin Yutang, und erinnert: »Diese Possenreißergabe ist zusammen mit der ja eigentlich dazugehörenden Gabe des Nachäffens der hervorstechendste Zug aus unserem Affenerbe«, und dann schreibt der Weisheitslehrer: »Zweifellos lassen sich aus solcher Mimenkunst allerlei Vorteile herleiten, worunter der offenbarste der Beifall der Zuschauer ist.« 199
Ich möchte das Wort Beifall durch Energiezuwendung ersetzen: Schon kleinste Kinder lernen, das Verhalten zu wiederholen, das angenehme Reaktionen hervorruft – und wenn schon nicht angenehme, so wenigstens irgendwelche.
Darin liegt auch eine Gefahr: Die Definition von Erschöpfungszuständen als Störung oder Krankheit ruft Vorstellungen von
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