Der erste Sommer
sehr froh, dass ich mich mit Ihnen so problemlos verständigen kann.«
Martin, der die Uniform eines amerikanischen Majors trug, nickte und nahm die oberste Akte in die Hand. Gedankenverloren blätterte er darin herum.
»Den Vorgang sollten sie sich genau ansehen. Der liegt nicht zufällig ganz oben, Herr Major. Da sammeln wir nämlich die Straftaten Ihrer Landsleute. Ja, auch so etwas gibt es. Wir verschließen die Augen davor nicht. Vor Gott und der bayerischen Schutzpolizei sind alle gleich.« Er lachte.
»Was haben sie so verbrochen, meine Landsleute?«, erkundigte sich Martin desinteressiert.
»Die meisten sind harmlos und klauen nur Uhren. Man könnte fast meinen, in Amerika gäbe es keine. Ein paar Berufsbetrüger und Hochstapler sind allerdings auch darunter.« Er sah auf und forschte in Martins Gesicht, ob er zu weit gegangen wäre. »Oft stellt sich glücklicherweise heraus, dass es in Wirklichkeit Polen sind, die sich auf dem Schwarzmarkt eine amerikanische Uniform organisiert haben.« Der Beamte senkte die Stimme: »Das mit den Uhren grenzt an Sucht.« Unverhohlen starrte er auf Martins Handgelenk. »Meistens sind es Negersoldaten, die die Uhren klauen. Das muss an der Abstammung liegen. Da ist man machtlos, selbst als Staatsdiener. Erst recht, wenn man keine Waffen hat. Dieses Schwarzmarktgesindel bekommen wir nur mit Waffen in den Griff. Wenn überhaupt. Aber wem sage ich das. Ohne Waffen hätten Sie Deutschland auch nicht erobert.«
Martin legte die Akte auf den Stapel zurück.
»Ich bin hier«, er räusperte sich, »weil ich von einem Todesfall in der Oper gehört habe. Sehr bizarr. Eine Sängerin, irgendwann im Juli oder August.«
Ihn ließ nicht los, was Andras ihm über den Selbstmord von Klammbergs Frau berichtet hatte. Er musste herausfinden, warum sie sich umgebracht hatte. Deswegen war er nach Deutschland gekommen, vor undenklich langer Zeit. Er hätte diese todbringende Ehe verhindern können. Damals. Wenn er nicht davongelaufen wäre. Er biss sich auf die Unterlippe und sah zu Boden. Dass sie als Sängerin erfolgreich gewesen sein sollte, konnte er kaum glauben. Keine Frau, mit der er zusammen gewesen war, hatte so selten den richtigen Ton getroffen.
»Freilich, freilich«, erinnerte sich der Polizist. »Die Münchner Tosca. Das hat Aufsehen erregt. So etwas erlebt mannicht alle Tage. Manchmal kann man froh sein, dass es im Juli keine Zeitung gegeben hat. Die Schmierfinken hätten sich wie Aasgeier auf diesen Fall gestürzt. So konnten wir unsere Nachforschungen in Ruhe anstellen.«
»Und was ist dabei herausgekommen?«, fragte Martin.
»Bei dieser Sängerin … dieser sehr speziellen Sängerin … da muss man ganz tief hinabsteigen ins Milieu.«
»Künstler eben«, entgegnete Martin knapp.
»Ja, wer sich heutzutage alles Künstler nennt …«
»Sagen Sie, was haben Sie eigentlich für einen seltsamen Dialekt?«
»Ich bin waschechter Franke«, freute sich der Polizist, froh, das Thema wechseln zu können, und zwirbelte die Enden seines Schnurrbartes nach oben. »Auf meinem ›r‹ können Sie von hier bis Nürnberg rollen.« Er lachte wieder. »Sie sprechen aber auch nicht schlecht deutsch. Darf ich fragen, wie Sie das so gut gelernt haben?«
Martin wich unwillig einen Schritt zurück. »Wo ist der Vorgang mit der Sängerin?«
Geschäftig räumte der Polizist einige Papierstapel von der einen Seite des Schreibtischs zur anderen. Wie ahnungslos hatten sie damals die Leiche aus dem Tümpel im Nationaltheater gefischt … Erst als sie sie umdrehten, hatten sie durch den nassen Stoff erkannt, dass es sich keineswegs um eine Frau gehandelt hatte. Im Gegenteil: die Leiche hatte einen Schwanz gehabt, lang wie der eines Esels. Angeekelt hatten sie den Mann beinahe wieder fallen gelassen. Besser, man rührte nicht mehr daran.
Mit Unschuldsmiene gab der Schutzpolizist seine Suche auf und sagte scheinheilig:
»Ich kann den Vorgang bedauerlicherweise im Moment nicht auffinden.«
»Ach wirklich? Vielleicht bemühen Sie sich noch einmal?!«
»Haben Sie einen persönlichen Bezug zu der Leiche? Oder ist es mehr ein künstlerisches Interesse?« Der Adamsapfel des fränkischen Polizisten fuhr schnell auf und nieder.
»Ich habe sie mehrfach singen gehört, aber weniger auf der Bühne, als vielmehr im Schlafzimmer – und unter der Dusche.« Martin zwinkerte dem Beamten zu, der daraufhin erstarrte.
»Wenn das so ist«, stotterte der Polizist, »frage ich besser bei einem Kollegen nach.
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