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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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würde, die er vor einer halben Ewigkeit geliebt hatte – oder auch nicht.
     
    Eine Stunde später flog die Tür auf.
    »Landluft tut meiner Stimme nicht gut«, erklärte Maria lautstark beim Hereinkommen.
    »Da ist sie ja!«, rief die Barfrau.
    Der Sängerin folgte ein kleinwüchsiger Tenor, der sich den Männern neben dem Eingang unaufgefordert als Schmitt mit zwei ›t‹ vorstellte und mit dem Fuß und einer Verbeugung die Tür zudrückte.
    »Der junge Amerikaner hier interessiert sich für unsere Tosca, Gott hab sie selig! Einen Film will er machen, ausgerechnet über dieses Luder!«, rief die Barfrau ihr zu und deutete mit den Fingern auf Martin. Maria streckte theatralisch die Arme aus, als wären sie alte Freunde, und tänzelte auf ihn zu.
    »Ja, die Tosca, das war unser Schlachtross«, seufzte sie statt einer Begrüßung. Ihre Stimme war vom Rauchen zerfressen. Mit Mühe kämpfte sie sich auf den Barhocker neben Martin. »Wegen der ist manch einer durch das ganze deutsche Reich gereist. Selbst als es noch dreimal so groß war wie jetzt. Man sieht es mir nicht auf den ersten Blick an, aber ich bin eine schlesische Freifrau. Da staunen Sie, was?« Sie tätschelte Martins Oberschenkel. »England hätten wir in Ruhe lassen sollen. Man darf sich nie mit allen Nachbarn gleichzeitig anlegen, nicht wahr, Schmitt?«
    Martin gefiel nicht, dass man permanent über ihn hinweg sprach. In seinem Magen rumorte es. In dem Glas musste reiner Alkohol gewesen sein. Der Tenor Schmitt bemerkte Martins finstere Miene und beeilte sich, näselnd zu versichern:
    » This is a running gag between Lady Maria and myself .« Er setzte sich auf die andere Seite neben Martin und nickte der Barfrau zu.
    »Wir gastieren so lange auf dem Lande, bis wir in München eine Konzession haben«, wandte sich Maria wieder an Martin. »Kommen Sie doch zu einer Aufführung! Nach Berlin bringen mich keine zehn Pferde zurück. Mit dem Kommunismus hatte ich es noch nie. Die Russen haben keinen Sinn für unsere Kunst.«
    »Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein? Ich habe gute Verbindungen zur Militärregierung. Mein Onkel ist Major –« Martin stockte.
    Maria musterte ihn misstrauisch. »Was wollen Sie eigentlich? Aufschneider sind mir zuwider.«
    Ihr Tonfall duldete keine Ausflüchte. Selbst der Tenor Schmitt stutzte.
    »Diese Tosca war mein Mädchen. Als es ernst wurde, bin ich davongelaufen«, erklärte Martin und biss sich auf die Lippen.
    »Au weh!«, konstatierte der Tenor Schmitt. »Klassischer Fall der Tragödie, die gemeinhin Liebe genannt wird. Man verlässt die Angebetete. Und irgendwann merkt man, dass nichts Besseres nachkommt. Und Puff, es ist zu spät. Das Mädchen tot – oder mit einem anderen verheiratet.«
    »Noch einer also, dem Tosca den Kopf verdreht hat«, entrüstete sich die Barfrau. »Sie konnte es einfach nicht lassen.«
    »Selbst unter schwierigsten Bedingungen«, fügte der Tenor Schmitt hinzu, »ging sie ihrem Handwerk nach.«
    Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und verdrehte dabei die Augen. In Martins Kopf wirbelte alles durcheinander. Er konnte seinen Blick nicht mehr scharf stellen. Nichts war mehr da, wo es hingehörte. Mit beiden Händen klammerte er sich an dem Tresen fest.
    »Du bist doch noch jung.« Maria kniff ihn in die Wange. »Es kommen andere.«
    Sie deutete unbestimmt in den Raum hinter sich. Martin fasste ihren schwabbeligen Oberarm.
    »Und die Kinder sind auch tot.« Er zog seine Hand zurück. »Toscas tote Kinder. So nenne ich meinen Film.«
    »Ja, die Kunst war ihr immer wichtiger als Familie«, räsonierte der Tenor Schmitt.
    Maria beugte sich zu Martin. Er roch ihren süßlichen Atem.
    »Kinder muss sie vor mir versteckt haben. Ich habe nie welche kennen gelernt.« Sie fixierte Martin mit schief gelegtem Kopf. »Sind Sie etwa, nein, das könnte ich kaum glauben … sein Sohn?«
    » Sein Sohn?«, fragte Martin entgeistert.
    Die Barfrau drehte sich um. In dem Barspiegel meinte er zu sehen, dass sie sich in den Zeigefinger biss, um nicht zu lachen. Maria musterte ihn voller mütterlichen Mitleids. Fehlte nur noch, dass sie ihm über die Haare strich.
    »Eine Frau war sie nur auf der Bühne, im normalen Leben hat sie während des Krieges tapfer ihren Mann gestanden.« Der Tenor Schmitt rieb sich die Nase.
    »Er?«, wiederholte Martin ungläubig. Heidemarie Irmler ein Mann? Sie waren verrückt, alle verrückt. Oder wollten sich über ihn lustig machen. Wenigstens sein Magen hatte sich

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