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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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ihr Kehlchen geschmeidig zu halten. Seien Sienur pfleglich mit der Nadel. Die brauchen Sie noch oft. Alles eine Frage der Sterilisation. ›Sterilisieren‹ ist das Zauberwort unserer Gesellschaft.«
    Für einen Augenblick flackert Abscheu in Toscas Augen auf, nicht zu bändigender Abscheu. Gleich darauf hat sie sich wieder unter Kontrolle. »Gut, fahren wir«, sagt sie kurz entschlossen und zieht sich das weiße Seidenkleid mit dem blau besetzten Ausschnitt über die Schultern. Sie wirft den Stummel in das Feld, doch die Zigarette landet zwei Schritte vor ihren Füßen. Mit der Schuhspitze drückt sie die Kippe aus.
    »Getroffen habe ich noch nie.«
    »Wenn nur Sie nicht träfen, hätten wir den Krieg nicht verloren«, sagt ihr Bewunderer trocken und gibt ihr einen Handkuss.
    Nachdenklich sieht sie auf ihre zerstochene Armbeuge, nimmt ihm die Spritze aus der Hand und steckt sie in ihre Handtasche. Er stapft festen Schrittes voran. Mit einer geübten Handbewegung legt Tosca sich eine Kette mit einem Medaillon um den Hals und stöckelt ihm auf hohen Absätzen hinterher über die Wiese zu dem schwarzen Mercedes. Auf der Hälfte des Weges dreht er sich zu ihr um und ruft gewollt doppeldeutig:
    »Unser erster gemeinsamer Akt kann beginnen!«

45
    An den Wänden hingen kaum zu erkennende Tuschezeichnungen ineinander verschlungener Boxer. Trotz der kunstsinnigen Einrichtung war die »Feuerwache« mit einem Dutzend Gäste an diesem ersten kalten Oktoberabend nur spärlich besucht. Als ein schöner junger Manndas Lokal betrat, wandten sich ihm wie auf Knopfdruck zwölf Augenpaare zu. Bereitwillig boten an der Bar zwei ältere Herren dem Neuankömmling den Hocker zwischen sich an. Martin zog seinen Überzieher aus, beugte sich zu der stämmigen Frau mit stumpfen Haaren, die hinter der Theke Gläser abtrocknete, und bestellte ein Bier. Als sie ihm wortlos ein halb gefülltes, dafür mit Schnaps verlängertes Glas Hefesud hinstellte, sagte er:
    »Ich suche eine Sängerin, die hier nach den Vorstellungen verkehrt haben soll. Tosca.«
    Die Barfrau lachte dröhnend. »Das hat sie in der Tat oft. Hier verkehrt .«
    Die anderen Besucher taxierten ihn verstohlen. Martin fühlte sich unwohl. Er fühlte sich verkleidet und hätte am liebsten die Uniform ausgezogen. Außerdem juckte es ihn seit Tagen in den Leisten und an den Handgelenken.
    »Amerikaner?«, fragte der ältere Herr links von ihm.
    Martin nickte. Ohne sich abzusprechen standen die beiden Männer auf und setzten sich an einen Tisch am Eingang.
    »Haben die etwas gegen uns?«, fragte Martin die Barfrau.
    »Sie haben schlechte Erfahrungen gemacht«, erklärte sie mit schwäbischem Singsang, »mit allen Machthabern.«
    »Tosca soll nach einer Aufführung umgekommen sein«, wechselte Martin das Thema. »Ein faszinierender Filmstoff.«
    »Ja, die Tosca hat es auch erwischt.« Sie nickte versonnen mit halb geöffnetem Mund. Ein Schneidezahn war abgestorben und fast schwarz. »Ein Wunder, dass sie es überhaupt so lange überlebt hat, so wie sie es getrieben hat. Nichts Böses über die Toten, aber nachdem der, na, ich komm nicht auf den Namen, also nachdem der sie verlassen hat, ist es nur noch bergab gegangen mit ihr. Morphiumabhängig war sie am Ende und hat sich jedem an den Hals geworfen … Wie hieß der nur?«
    »Martin?«
    »Hm … Das könnte sein. So ein Allerweltsname war es. Mein Gott ist das lange her.«
    »Tosca war ja wohl nur ihr Künstlername. Kennen Sie auch ihren bürgerlichen?«
    »Nein, den hat sie mir nie verraten. War mir recht so. Wer nichts weiß, kann auch nichts ausplaudern.« Sie musterte ihn streng. »Aber besser ist es, Sie reden mit Maria über Tosca. Tosca und ich – das hat immer böses Blut gegeben. Maria hat sie bekannt gemacht als Künstlerin. Das ist der Tosca nicht bekommen. Nach der Vorstellung wird sie bestimmt hier auftauchen.«
    »Ist diese Maria auch Sängerin?«
    »Fragen Sie sie selbst, da fühlt sie sich geschmeichelt. Sie ist die Direktorin von der ›Engelsburg‹.«
    Die Barfrau wandte sich ab und unterhielt sich über Martin hinweg mit einem Mann, der versuchte, den Ölofen in der Mitte des Raumes in Gang zu setzen. Martin nippte an seinem Glas. Die bräunliche Flüssigkeit schmeckte nach Seife und brannte im Rachen. Dieses Mal würde er sich nicht mit Zweideutigkeiten und lauen Andeutungen abspeisen lassen. Er war fest entschlossen, die sinnlose Suche hier abzuschließen. Was immer er auch über den Tod der Frau erfahren

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