Der erste Tod der Cass McBride
ohne zu fragen, in mein Zimmer, um mich zu >kontrollieren<, aber dann geht sie nicht mehr und erzählt mir, wie faul ich bin und dass ich genau wie Dad sei, dass ich lieber aufgebe, statt eine Sache durchzuziehen, und dass ich dumm bin. Du kennst das alles, multipliziere es einfach mit hundert, dann weißt du, was los ist.«
David rollte sich auf dem Bett wie ein Embryo zu sammen.
»Ich werde was unternehmen«, versprach ich. »Ich weiß noch nicht, was, aber ich kümmere mich darum.«
»Das schaffst du nicht«, erwiderte er. »Niemand kann etwas dagegen unternehmen.«
Aber ich habe es versucht. Dad machte sich direkt nach Weihnachten wieder aus dem Staub. Wir frag ten nicht einmal nach, wohin er fuhr, nicht einmal, warum er eigentlich während der Weihnachtsferien Medikamente verkaufen musste. Ich knöpfte mir Mom bei ihrer morgendlichen Tasse Kaffee vor.
»Mom, du musst David in Ruhe lassen.«
»David geht dich nichts an.«
»Er ist mein Bruder.«
Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und massierte ihre Schläfen. »Wenn ich ihn nicht selbst geboren hätte, würde ich das kaum glauben.«
»Genau dieses Gerede meine ich, Mom. Du musst aufhören, so einen Mist zu erzählen.«
Sie starrte mich an, aber ich hielt ihrem Blick stand. Ihre Lider flatterten leicht und ihre Unterlippe nahm einen etwas weicheren Zug an. Sie wandte den Blick ab, als wäre sie gelangweilt.
»Kaum ein Jahr am College und du glaubst, du weißt alles. Einen Dreck weißt du.«
»Dann erklär es mir. Erklär mir, warum du so mit ihm umgehst. Und erzähl mir nicht so einen Schwach sinn, von wegen David ruiniert dein Leben. Er hat dir gar nichts getan. Der Junge wurde geboren. Dafür kann er nichts. Das war dein Fehler, deiner und Dads Fehler.«
Mom wich zurück, als hätte ich ihr ins Gesicht ge schlagen.
»Du verstehst das nicht. Du bist noch jung und hast dein ganzes Leben vor dir. Du studierst, du be nutzt deinen Verstand, du hast gute Noten und du weißt, was du willst. David könnte das auch. Aber er nutzt seine Möglichkeiten nicht. Er wirft sie einfach weg. Genau wie sein Vater damals. Genau wie ich. Ich ertrage es nicht, das mit anzusehen.«
»Mom...«
»Was ist aus unserer Familie geworden, als das Le ben nicht mehr so einfach war? Dein Vater hat klein beigegeben. Er hat einfach aufgegeben. Und das tut er bis heute. Er ist ein Versager und ich kann ihn nicht verlassen, weil ich nicht weiß, wie ich allein durch kommen soll. Ich habe meinen Abschluss mit der bes ten Partie an meiner Seite, aber mit schlechten Noten im Zeugnis gemacht und ohne irgendwelche Kennt nisse vorweisen zu können. Frisuren und Maniküre waren wichtiger als Schularbeiten. Ich kümmerte mich mehr darum, wie ich die Beine übereinander schlagen musste, damit mein Po gut zur Geltung kam, als darum, was die Lehrer erzählten. Meine Mutter hat eine gute Partie gemacht und alles, was sie mir beibrachte, war, es ihr nachzutun. Und nun zeigt sich, dass ich nicht einmal eine gute Partie gemacht habe!
David ist genau wie dein Vater. Er steht nicht auf und kämpft. Er muss härter werden. In dieser Welt wird man ihn herumschubsen, wenn er nicht lernt, sich durchzubeißen. Er ist eine Heulsuse und das muss sich ändern. Du hilfst ihm nicht, Kyle. Du glaubst, du schützt ihn vor mir und vor den Typen, die ihn in der Schule schikanieren. Aber du machst ihn damit nur schwach.«
»Liebst du David? Sag mir die Wahrheit, Mom. Liebst du David überhaupt?«
»Ich tue, was ich zu tun habe«, sagte sie.
»Ich habe mich gefragt, ob sie vielleicht recht hatte. Machte ich David nur schwach? Und Mom hielt es für ihre Aufgabe, David abzuhärten. Eine Frage ließ mich nicht los. Mom liebte David nicht, aber vielleicht liebte sie ihre >Aufgabe< ein wenig zu sehr?«
CASS
Kyle schlug erneut mit der Schaufel zu.
Könnte ich aus dieser Kiste rauskommen, würde ich Kyle mit einem ordentlichen Schlag mit der Schaufel sämtliche Zähne ausschlagen und sie ihm dann in seinen zahnlosen Mund rammen.
Mein Kopf schmerzte und ich fühlte mich miserabel. Und es fiel mir schwer, an irgendetwas anderes zu denken als daran, wie durstig ich war. Ich konnte Kyle nicht die ganze Zeit über folgen. Es fiel mir so schwer, mich zu konzentrieren.
»Mom bekam, was sie wollte, aber für Dad war es eine harte Zeit. Und dann passierte der Fehler. David. Zwei Kinder, das war mehr, als Dad neben dem Medizinstudium bewältigen konnte. Er brach das Studium ab.«
Ich hatte meine Lektion
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