Der erste Tropfen Blut: Thriller (German Edition)
Schweigen war die Antwort. Der Polizeipräsident nickte. »Gut.« Er setzte sich wieder.
»Heute um zwölf Uhr elf wurde eine schwangere Frau beim Einkaufen im St. Nicholas Centre von einer Bande von Kindern im Alter zwischen sechs und neun Jahren angepöbelt. Sie versuchten, ihr die Handtasche zu entreißen, doch sie wehrte sich, worauf sie von den Kindern brutal attackiert wurde. Daraufhin griff Mr. Cochrane ein, um ihr beizustehen …«
Logan musste sich den Rest nicht mehr anhören – er war als einer der Ersten vor Ort gewesen, weil er sich gerade bei Marks & Spencer ein Sandwich und eine Tüte Chips zum Lunch gekauft hatte. Er hatte die Schreie gehört und war sofort zwischen den Pullis und Hosen hindurch in die Ladenpassage gesprintet, wo er eben noch mitbekam, wie Sean Morrison die Brieftasche des alten Mannes einsteckte und sich aus dem Staub machte. Er hatte sofort Verstärkung gerufen und war dann zu dem Opfer hingelaufen, hatte versucht, die Blutung zu stillen, und die herbeigeeilten Kaufhausdetektive angewiesen, die Stichwunde abzudrücken, bis der Notarzt kam. Und dann hatte er sich an die Verfolgung der kleinen Gangster gemacht. Aber sie waren ihm entwischt.
Er hörte sich an, wie Mrs. Cochrane einen leidenschaftlichen Appell an all diejenigen richtete, die wussten, wo sich die Mörder ihres Mannes aufhielten, und sie aufforderte, sich bei der Polizei zu melden. Die Tränen, die über ihre bleichen, zerfurchten Wangen rannen, funkelten im harten Scheinwerferlicht. Und dann dankte ihr der Polizeipräsident für ihre Tapferkeit und eröffnete die Fragerunde.
Meist war es das Übliche: »Haben Sie schon irgendwelche Verdächtigen?« – »Rechnen Sie damit, dass es bald zu einer Festnahme kommen wird?« Dann fragte die Frau von Sky News den Polizeipräsidenten nach dem Prozess gegen Iain Watt: Würden ihm auch die anderen Vergewaltigungen zur Last gelegt werden, die angeblich von Rob Macintyre begangen worden waren?
Der Polizeipräsident starrte sie nur finster an – der »Granite-City-Vergewaltiger«, wie Watt inzwischen in den Zeitungen genannt wurde, war so etwas wie ein wunder Punkt. Und damit kam die Pressekonferenz zu einem abrupten Ende.
13
Die Sonne war heiß genug, um das Auto in eine Mikrowelle zu verwandeln, aber als Logan in den späten Februarmorgen hinauskletterte, war es so kalt, dass ihm fast die Ohren abfielen. Sein Rücken tat höllisch weh; die Blutergüsse von Sean Morrisons Schlägen und Tritten breiteten sich aus wie grüne und blaue Tinte auf einem nassen Löschblatt. Die King’s Gate verlief vom King’s-Cross-Verkehrskreisel auf dem Anderson Drive schnurgerade bergab bis zu der Ecke, wo sie damals die Gartensendung The Beechgrove Garden gedreht hatten, und der Blick von hier oben war überwältigend – ein Panorama von Aberdeen: grauer Granit, der in der Sonne glänzte, dunkle Schieferdächer, Kirchtürme, und im Hintergrund die Nordsee, glitzernd wie ein riesiger, tiefblauer Saphir, mit einem Versorgungsschiff, das langsam südwärts in Richtung Hafen tuckerte, als Kontrastpunkt in Neonorange. Nur schade, dass es so saukalt war.
»Ja, Himmel, Arsch und Leistenbruch!« DI Steel stampfte mit den Füßen, kramte fluchend eine Zigarette hervor und zündete sie an. Der eisige Wind riss den Rauch sofort mit sich. »Da ist mein Kühlschrank ja ein Treibhaus dagegen!«
Logan ignorierte sie und blickte die Straße hinunter zum Haus der Morrisons – einem großen, zweistöckigen Granitklotz mit einem fetten BMW-Geländewagen in der Einfahrt. Nicht gerade das Elternhaus, von dem man annehmen würde, dass es einen garstigen, stehlenden und mordenden kleinen Bastard wie Sean Morrison hervorbrachte. Parkende Autos säumten die Straße, und in vielen davon hockten gelangweilt dreinschauende Journalisten, die Kameras und Notizbücher im Anschlag. Noch schien niemand die Ankunft von DI Steel und Logan registriert zu haben.
»Wollen Sie, dass ich anfange?«, fragte er, während er sich mit einer Hand das schmerzende Kreuz massierte. Die Tabletten, die sie ihm gestern Abend gegeben hatten, waren ungefähr ein Fünftel so stark wie die, die er gewohnt war – da hätten sie ihm auch gleich Smarties verschreiben können; die hätten wenigstens besser geschmeckt.
Steel fröstelte, die Hände unter die Achseln geklemmt, während sie wie ein verdurstender Säugling an ihrer Kippe nuckelte. »Geben Sie mir noch ein Minütchen … Das ist meine einzige Fluppe für heute Morgen – die werd
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