Der erste Tropfen Blut: Thriller (German Edition)
ich verdammt noch mal genießen, und wenn ich dabei draufgehe.«
Logan seufzte und sah demonstrativ auf seine Armbanduhr. »Gleich halb neun – wir müssen uns ein bisschen sputen, wenn wir es rechtzeitig zur Obduktion schaffen wollen.«
»Nikotinpflaster, dass ich nicht lache …« Steel schielte mit zusammengekniffenen Augen in die strahlende Sonne. »Ach, wissen Sie, ich glaube, die Obduktion schenk ich mir. Ist ja nicht so, als wüssten wir nicht, was den Alten umgebracht hat, oder?«
»Schon.« Er sah zu, wie das leuchtend orange Versorgungsschiff hinter dem grabsteinartigen Kasten von St. Nicholas House verschwand. »Was wollen Sie wegen Jason Fettes unternehmen?«
»Was soll ich denn da unternehmen? Der Fall ist doch tot und begraben. Kein Mensch weiß, wer’s getan hat, und es interessiert auch keinen. Außer den verdammten Eltern und diesen Idioten bei der P&J .« Gemeint war vor allem Colin Miller – an der Spitze einer neuen »Kampagne für Gerechtigkeit«, die er als Ausrede benutzte, um wieder mal auf der Grampian Police herumzuhacken. Steel machte ein finsteres Gesicht, die glimmende Zigarette zwischen den Lippen. »Wir haben keine Beweise, keine Zeugen und nicht den Hauch einer Spur.«
»Ich weiß, aber Sie sollten doch dem Stellvertretenden heute einen Zwischenbericht liefern, erinnern Sie sich?«
»Ist das heute?« Steel fluchte. »Ich sag’s Ihnen – dieser Fettes-Fall, die Geschichte hier und dann noch diese verdammten Einbrüche, da seh ich mit meiner Aufklärungsstatistik ganz schön alt aus. Na ja« – die Kippe wurde in hohem Bogen auf die Straße geschnippt, wo sie unter die Räder eines Busses der Line 23 geriet – »wenigstens ist uns diesmal ein schneller Erfolg sicher.«
Den Spruch hatte Logan doch schon einmal gehört.
Sie trabten den Gehsteig hinunter auf das Haus der Morrisons zu, vor dem ein einsamer uniformierter Beamter frierend und mit unglücklicher Miene Wache hielt. Sie waren schon fast da, als ihnen plötzlich ein kleiner, glatzköpfiger Mann in den Weg trat, in der Hand einen Digitalrekorder. »Ken Inglis, Radio Scotland. Inspector, haben Sie den Jungen schon gefunden?« Es war, als hätte jemand ein totes Zebra in ein Bassin voller Piranhas geworfen – kaum hatten sie Blut gerochen, kamen die Reporter aus allen Löchern geschossen.
»Noch nicht«, sagte Steel in das plötzlich hereinbrechende Blitzlichtgewitter. »Aber wir ermitteln in verschiedene Richtungen. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen …«
» ITN News : Stimmt es, dass Morrison schon einmal mit der Polizei in Konflikt geraten ist?«
»Ich kann wirklich keinen Kommentar abgeben zu…«
»Hat Constable Nairn schon das Bewusstsein wiedererlangt?«
»Joanna Calder, Guardian : Wie besorgt sind Sie um die Sicherheit des Jungen?«
Steel gab dem Constable, der das Morrison-Haus bewachte, ein Zeichen, worauf dieser sich schwerfällig in Bewegung setzte, die Schar von Kameraleuten und Reportern zurückdrängte und sie in Schach hielt, sodass Logan und Steel zur Haustür durchgehen konnten. Am äußersten Rand der Meute standen einige verdrossen dreinschauende Mitbürger und warfen ihnen finstere Blicke nach. Noch hatte keiner ein Protestplakat in der Hand, aber das war wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Logan klingelte Sturm.
Drinnen sah es bei den Morrisons aus wie in einer Werbung für Möbelpolitur – alles schimmerte und glänzte. Logan stand am Kamin und grillte seine Waden, während Steel auf der Couch saß, Tee aus einem Porzellanbecher schlürfte und dazu Vollkornkekse futterte. Mrs. Morrison, die auf dem anderen Sofa saß, war eine mollige, verschreckt wirkende Frau von zweiunddreißig Jahren, die aber wesentlich älter aussah. Ihr Mann ging unterdessen händeringend im Zimmer auf und ab und gebärdete sich abwechselnd besorgt, wütend, zerknirscht und dann wieder besorgt. »Sean hat so etwas noch nie gemacht!«, sagte er, worauf Steel nur höhnisch schnaubte.
»Will ich doch schwer hoffen! Wäre schlecht, wenn er es sich zur Gewohnheit machen würde, Polizistinnen und siebzigjährige Rentner abzustechen.«
Logan versuchte es auf eine nicht ganz so provozierende Tour. »Und Sean ist seit gestern nicht mehr nach Hause gekommen?«
Die Mutter schüttelte den Kopf. Die braunen Locken fielen ihr dabei ins Gesicht, und Tränen glitzerten in ihren verheulten, geröteten Augen. »Er ist morgens zur Schule gegangen, und seitdem haben wir ihn nicht mehr gesehen! Die ganze Nacht nicht! Wenn ihm
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