Der erste Tropfen Blut: Thriller (German Edition)
Gott.«
»Er wird von Mal zu Mal brutaler.« Die Ärzte hatten sieben Stunden gebraucht, um Christine Forresters Gesicht und Hals wieder einigermaßen zusammenzunähen. Das beigeheftete Foto war so schlimm, dass Logan den Blick abwenden musste. Er war sich nicht sicher, ob das flaue Gefühl im Magen auf das Bild zurückzuführen war oder auf seinen Versuch, eine komplette Akte auf dem Rücksitz eines Streifenwagens zu lesen, der mit hundertvierzig Sachen im Abendsonnenschein über die Schnellstraße raste.
»Und wieso ausgerechnet ich?«, fragte er und drehte das 20 x 25-Foto rasch um.
Insch brummte etwas Unverständliches und zog eine große Tüte Gummibärchen aus der Tasche. »Ich hätte auch lieber Watson mitgenommen, aber sie musste sich ja unbedingt bei der verdammten Presse verplappern. Wenn sie jetzt noch irgendwo bei meiner Ermittlung auftaucht, heißt es sofort wieder ›Hexenjagd‹.«
Logan sah zu, wie eine Handvoll der kleinen Fruchtgummifiguren verschwanden, und versuchte die Vorstellung zu verdrängen, wie sie schrien, als sie von den Zähnen des Inspectors zermalmt wurden. »Sie sind überzeugt, dass es Macintyre ist.«
»Natürlich ist es dieser verdammte Macintyre.« Mit dem Mund voller todgeweihter Bären war er kaum zu verstehen.
Logan nickte. Insch war genau wie Jackie: Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er blind für alles andere. Ganz gleich, was der Inspector sagte – es war eine Hexenjagd. Er beschloss, den Mund zu halten, und wandte sich wieder der Fallakte zu.
Das Ninewells Hospital in Dundee war ein gewaltiges Labyrinth von Fluren und miteinander verbundenen Gebäuden. Der wohlbekannte Geruch nach Desinfektionsmitteln und die summenden Neonröhren drückten schwer auf Logans Stimmung, als er hinter Insch die Treppe hinunterstieg und den Flur zur Neurologie entlangschlurfte. An der Stationszentrale saß eine weiß und grün gekleidete Frau mittleren Alters und starrte über den Rand ihrer Brille hinweg auf ein Klemmbrett voller Formulare. Neben ihr stand eine geöffnete Großpackung Pralinen. Insch bediente sich gleich und fragte dann: »Nikki Bruce?«
Die Stationsschwester blickte auf. »Gehören Sie zur Familie?«, fragte sie in dem typischen singenden Tonfall von Fife.
Der Inspector ließ sie seinen Dienstausweis sehen. »Polizei. Wir …«
»Ja, ich weiß Bescheid. Nikki erwartet Sie schon.« Sie stand auf – ihr Gesicht war jetzt auf der Höhe von Inschs massiger Brust – und führte die beiden über einen Flur zu einem kleinen Einzelzimmer. »Sie hat Furchtbares durchgemacht, und sie hat starke Schmerzen. Sie dürfen sie nicht überanstrengen.«
Bunte, metallisch glitzernde Ballons mit Teddy- und Kätzchenmotiven wiegten sich leicht im Luftstrom der Klimaanlage; die Pinnwand über dem Bett war mit Genesungskarten gepflastert. Nur Blumen waren keine zu sehen. Nikki saß halb aufgerichtet im Bett, gestützt auf frisch gestärkte weiße Kissen. Ihr Gesicht war im Schatten, ihr Arm hing an einem Infusionsschlauch, und in ihren Ohren steckten weiße iPod-Ohrhörer.
Insch räusperte sich und ließ sich in einen Stuhl mit hoher Lehne sinken, der neben dem Bett stand und offensichtlich für die Patienten gedacht war. Logan blieb nichts anderes übrig, als sich einen wackligen Plastikstuhl aus der Ecke heranzuziehen. Dabei registrierte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung – es schien, als hätte Nikki ihre Anwesenheit jetzt erst bemerkt. Sie seufzte und schaltete mit einer zitternden, bandagierten Hand ihre Musik aus.
Der Inspector fragte sie nach ihrem Befinden und legte dabei so viel Mitgefühl in seine Stimme, dass Logan sie kaum wiedererkannte. »Es tut mir wirklich sehr leid«, sagte der dicke Mann, »aber wir müssen Ihnen einige Fragen stellen. Ist das immer noch in Ordnung für Sie?«
Ein Nicken. Als Logans Augen sich ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er sehen, wie sehr sie sich in den letzten zwei Tagen verändert hatte. Die Blutergüsse waren jetzt voll erblüht, das ganze Gesicht aufgequollen und dunkel verfärbt. Frische Verbände verdeckten die Wunden, von denen er in der Akte gelesen hatte, doch eine blassgelbe Spur auf der weißen Gaze, durchsetzt mit kleinen roten Pünktchen, ließ erkennen, welchen Weg die Klinge des Täters genommen hatte. Als sie auf Inschs Frage antwortete, klang ihre Stimme schwach und gequält. Weinend erzählte sie ihm von der Geburtstagsparty im Nachtclub. Sie hatte zu viel getrunken und
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