Der erste Tropfen Blut: Thriller (German Edition)
erinnerte sich an nichts mehr, bis zu dem Moment, als sie sich am Taxistand hatte übergeben müssen. Sie hatte sich zu Fuß auf den Heimweg gemacht. Dann das Messer. Sein Körper. Das Blut … Ihre Worte ließen aufs Neue die Übelkeit in Logan aufsteigen – verdammt, wie konnte irgendjemand einem anderen Menschen so etwas antun?
Als sie geendet hatte, entschuldigte Insch sich erneut, legte ihr die Hand auf die Schulter und versprach, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um den Schuldigen zu fassen. Dann ließen sie sie mit ihren Schmerzen und ihrem Kummer allein.
An der Stationszentrale wartete ein Mann im Anzug auf sie: grobe Züge, Hände wie Schaufeln. Den Kriminalbeamten sah man ihm schon von weitem an. »Und?«
Insch nahm sich noch eine Praline aus der Schachtel der Stationsschwester. »Nichts Genaues weiß man nicht. Aber der Modus Operandi scheint der gleiche zu sein wie bei Macintyre – es passt alles.«
»Das wissen wir schon – das haben wir Ihnen schließlich gesagt!«, entgegnete der Mann mit lauter Stimme und selbstbewusstem Dundee-Akzent. »Wir haben Sie nicht hergebeten, damit Sie uns Sachen erzählen, die wir längst wissen.«
»Jetzt hören Sie mir mal zu, Freundchen«, sagte Insch und baute sich mit seiner hünenhaften Figur vor dem Mann auf, sodass dieser einen Schritt zurückweichen musste. Seine Stimme war leise und bedrohlich. »Oben in Aberdeen haben wir sechs Frauen, die von diesem Schwein vergewaltigt wurden. Das hier ist kein Spiel, und auch kein Wettbewerb im Weitpissen. Kapiert?«
»Wie kommen Sie dazu, mich ›Freundchen‹ zu nennen?«, gab der Mann empört zurück. Er straffte die Schultern und wölbte die Brust. »Für Sie immer noch Detective Chief Superintendent Campbell – oder ›Sir‹, eins von den beiden. Haben Sie das jetzt kapiert?«
Insch lief schon rot an, brachte aber noch ein »Ja, Sir … Verzeihung, Sir« heraus.
»Schon besser.« DCS Campbell wandte sich an Logan. »Ist das die Fallakte?« Er streckte die Hand aus.
Logan schielte zu Insch hinüber, sah ihn nicken und übergab die Akte. »Nach den Opferfotos zu schließen eskaliert seine Gewaltbereitschaft. Dürfte nicht lange dauern, bis er jemanden umbringt.«
»Na, toll«, meinte der DCS, während er die Akte durchblätterte. »Sie Provinzdeppen bauen den Kerl auf, und dann lassen Sie ihn auf uns los. Vielen herzlichen Dank …«
»Wissen Sie« – Logan würde es vermutlich sehr bald bereuen, aber er musste es einfach sagen –, »es ist ja vielleicht gar nicht Macintyre. Es könnte sich immer noch um einen Nachahmungstäter handeln.«
Campbell schoss einen kalten Blick auf ihn ab. » Tatsächlich , Sergeant? Sonst noch irgendwelche genialen Erkenntnisse, die Sie mit uns teilen möchten?« Logan wäre da noch so einiges eingefallen, was mit dem DCS, seiner Mutter und einem Pferdearsch zu tun hatte, aber er hielt lieber den Mund. » Aye «, meinte Campbell, indem er die Macintyre-Akte zuklappte und sie sich unter den Arm steckte. »Dachte ich mir’s doch. Den Rest überlassen Sie bitte uns, und falls wir noch mal jemanden brauchen sollten, der uns erzählt, was wir sowieso schon wissen, rufe ich Sie an. Und bis dahin versuchen Sie doch bitte, Ihr Vergewaltigergesocks für sich zu behalten. Verstanden?«
Insch sah aus, als würde sein Kopf jeden Moment platzen. »Wir werden unser Bestes tun«, stieß er hervor.
Die Strecke zurück nach Aberdeen war ein einziges langes, dunkles, gewundenes vierspuriges Asphaltband, das ebenso schnell vorüberflog wie auf dem Hinweg – dreißig Stundenkilometer über dem Tempolimit mit PC Bleifuß am Steuer. »Tut mir leid«, sagte Logan, als sie an einem Sattelschlepper vorbeizogen, der auf dem Weg zu einem Asda-Supermarkt im Norden war, »ich habe einfach nur versucht, objektiv zu sein.«
Schweigen. Dann: »Das kann ich wirklich überhaupt nicht brauchen, dass Sie vor so einem affengesichtigen Arschloch wie Campbell meine Autorität untergraben!«
»Ich wollte doch gar nicht …«
»Es war Macintyre, okay? Sie haben gesehen, wie er das Mädchen zugerichtet hat? Sie ist dreiundzwanzig, und er hat sie für den Rest ihres Lebens gezeichnet. Und das nicht nur äußerlich. Die Wunden, die er ihr geschlagen hat, werden nie verheilen.«
Darauf wusste Logan nichts zu erwidern, aber Insch schien auch keine Antwort zu erwarten. Er verschränkte nur die massigen Arme vor der Brust und schloss die Augen. Der Constable am Steuer schaltete das Radio ein, und beschallt mit
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