Der erste Tropfen Blut: Thriller (German Edition)
Siebzigerjahre-Rock rasten sie der Heimat entgegen.
Es war schon fast Viertel vor acht, als Jackie endlich in der Wohnung aufkreuzte. In der Diele stampfte sie mit den Füßen auf und fluchte halblaut vor sich hin, während sie sich aus ihrer dicken gefütterten Jacke schälte und sie über den Heizkörper drapierte. »Von wegen, kein Schnee bis zum Wochenende«, schimpfte sie. Ihre Nase war AFC-rot. »Mach doch mal schnell ’ne Tasse Kaffee, ja?«
»Wo bist du gewesen? Es ist fast acht!« Logan folgte ihr ins Wohnzimmer, wo sie ihre Schuhe in die Ecke schleuderte, sich mit dem Rücken vor den elektrischen Kamin stellte und einen Fuß zentimeterdicht an die glühenden Stäbe hielt. »Du kriegst noch Frostbeulen.«
Das schien Jackie egal zu sein. »Steel hat dich gesucht. Ging um einen Termin morgen früh mit der Staatsanwältin wegen Morrison, kann das sein?«
»Wunderbar.« Das war’s dann mal wieder mit dem freien Tag. »Na ja, egal, du musst dich jedenfalls sputen, wenn du noch duschen willst, bevor wir gehen – das Taxi ist für acht bestellt.« Er las ihre Schuhe vom Boden auf und trug sie in die Diele. »Ich habe eine Karte und so ein Elefanten-Windspiel-Teil besorgt«, rief er ihr über die Schulter zu.
»Ach du Scheiße, das ist doch nicht heute Abend, oder?« Eine Pause, und dann ein paar saftige Flüche. »Warum muss das ausgerechnet heute Abend sein?«
»Weil sie heute Geburtstag hat. Fang jetzt nicht schon wieder damit an.«
»Ich meine ja nur.«
Kopfschüttelnd ließ Logan sie stehen und ging sich fertig machen.
Um zwölf Minuten nach acht plärrte draußen auf der Straße eine Autohupe los. Logan spähte durch den Vorhang und sah ein Taxi mitten auf der Fahrbahn stehen. »Na, wurde aber auch Zeit. Jackie, bist du fertig?« Keine Antwort. Er nahm das Paket mit der Geburtstagskarte und lugte in die Diele. Nichts – aber er konnte sie im Schlafzimmer hören. Offenbar führte sie Selbstgespräche. »Nein, ich kann nicht. Muss zu dieser blöden Geburtstagsparty … nein …« Logans Hand erstarrte über dem Türknauf. Er lauschte. »Ja … Du, ich bin echt fix und alle – die ganze letzte Nacht und vorgestern Nacht.« Eine längere Pause, und dann: »Nee, er ahnt nichts. Hör zu, wir müssen’s wohl auf morgen verschieben … Ja, ich auch.« Das Telefon piepste, als sie auflegte.
Logan wich zurück und starrte die halb offene Schlafzimmertür an.
Wieder ertönte die Taxihupe. Jackie kam in die Diele und zog ihre Jacke an. Als sie ihn dort stehen sah, verharrte sie einen Moment lang reglos. Und dann sagte sie: »Na los, komm, ich dachte, wir hätten’s eilig.«
Die Geburtstagsparty war nicht so furchtbar, wie Logan gedacht hatte: Sie war noch viel, viel schlimmer. Jackie schielte andauernd auf die Uhr, als hätte sie etwas Besseres vor, und Logan musste mit ansehen, wie sie den ganzen Abend mit bockigem Gesicht herumhockte wie ein verzogenes Kind.
Wie lange lief das schon – die Sache zwischen ihr und dem Mann am Telefon? Wie lange log sie ihn schon an? Die ganze Heimlichtuerei – diese Geschichte von Janettes Trennung, die Probe am Sonntag, die nie stattgefunden hatte: alles Lügen.
Wie hatte Ronald Berwick, der Rekordeinbrecher, doch so treffend bemerkt: » Trauen Sie ja nie einem Weib, da werden Sie doch immer bloß verarscht. «
Lügen
28
Mit dem Schnee gestern Abend war es nicht weit her gewesen – nur ein dünner weißer Überzug, der in den ersten Sonnenstrahlen gleich geschmolzen war und dampfende Straßen zurückgelassen hatte. Logan stand am Fenster von DI Steels Büro, doch er nahm die Menschen, die unten vorbeigingen und das kurze Nachlassen der winterlichen Witterung genossen, gar nicht richtig wahr. Er war zu sehr mit Grübeln beschäftigt. Als er die 1471 ins Telefon eingetippt hatte, um herauszufinden, mit wem Jackie gestern Abend gesprochen hatte, war Rennies Nummer erschienen. Er hätte es wissen müssen – die zwei hatten einander schon immer nahegestanden. Simon »das Arschloch« Rennie. Dieser linke, hinterfotzige …
»… oder bin ich bloß eine rachsüchtige alte Hexe? He, Erde an Lazarus, bitte melden!«
»Entschuldigung«, sagte er. »War gerade ganz weit weg.«
»Ich sagte, der kleine Scheißer kann mit acht bis zwölf Jahren rechnen, ehe er wieder rauskommt. Die Staatsanwältin wird versuchen, mehr rauszuholen, aber Sie wissen ja, wie unsere Richter sind, wenn es darum geht, kleine Kinder zu verurteilen. Elende Weicheier.«
»Oh, Sean Morrison …«
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