Der erste Verdacht
Fenton steckt. Ich hatte den Eindruck, dass alle, mit denen ich sprach, verängstigt und nervös waren. Schließlich erwischte ich einen Burschen, der sich Pressechef nannte und zu guter Letzt damit rausrückte, dass Edward Fenton schon seit einigen Tagen verschwunden ist!«
»Seit einigen Tagen verschwunden ist?«, wiederholte Irene. Das waren keine guten Neuigkeiten.
»Ja. Die Führungsgruppe von H.P. Johnson’s hatte heute Morgen eine Krisensitzung. Sie wollten das weitere Vorgehen besprechen. Offenbar befand sich Edward Fenton in den ersten beiden Septemberwochen mit seiner Familie in den USA, um Verwandte zu besuchen. Seine Frau und seine Söhne blieben noch zwei weitere Wochen, und er flog nach London zurück.
Merkwürdigerweise tauchte er Montag und Dienstag nicht in seinem Büro auf und ließ auch nichts von sich hören. Am Mittwoch, dem 17. September, erschien er in seinem Büro. Laut seiner Sekretärin trug er ein großes Pflaster im Gesicht. Er behauptete, auf einer Treppe in seinem Garten gestolpert zu sein. Womit er die ersten zwei Wochentage verbracht hatte, sagte er jedoch nicht. Dann arbeitete er den Rest der Woche wie gewöhnlich durch. Am Freitagnachmittag teilte er seiner Sekretärin mit, dass er Montagmorgen nach Berlin fliegen wolle. Er blieb die ganze Woche über mit ihr per Handy in Verbindung. Der letzte Anruf kam am Freitag, dem 27. September. Seither hat niemand mehr von ihm gehört.«
»Was wollte er in Berlin?«
»Nichts.«
»Nichts?«, wiederholte Irene verständnislos.
»Nein. Er flog nämlich gar nicht dorthin. Er hatte zwar für Montagmorgen einen Flug gebucht, saß aber nicht in der Maschine.«
»Wohin flog er dann?«
»Das weiß niemand.«
Irene bekam einen trockenen Mund. Da stimmte etwas ganz und gar nicht!
»Glen, du erinnerst dich doch noch daran, was ich dir heute früh erzählt habe. Vier Menschen sind ermordet worden. Zwei weitere Personen, eine junge Frau und ihr Baby, haben wir gerade unter Bewachung gestellt, da jemand gedroht hat, sie umzubringen. Diese Drohung hat Edward Fenton angeblich vor zwei Tagen telefonisch übermittelt. Er erzählte der besagten jungen Frau, er habe vor drei Jahren einen abgehackten Finger bekommen und werde ebenfalls bedroht.«
Glen schwieg einen Augenblick und erwiderte dann: »Du meinst, er könnte ebenfalls ermordet worden sein?«
Jede Belustigung war aus seiner Stimme gewichen.
»Möglich wär’s.«
»Was weißt du über Fenton?«, fragte er.
Irene berichtete ihm von dem Wenigen, das sie wusste. Als sie geendet hatte, schwieg Glen lange, dann fragte er: »Sagtest du, dass er mit Janice Santini, der Tochter von Sergio Santini, verheiratet ist?«
»Ja.«
»Wie gesagt … ein Wespennest. Aber ich habe einen Kollegen, der sich mit diesen Dingen besser auskennt«, meinte er nachdenklich.
»Mit welchen Dingen?«, fragte Irene.
Es fiel ihr schwer, ihre Ungeduld zu zügeln.
»Mit den USA und … einer gewissen Kategorie der Kriminalität. Er hat beim FBI gearbeitet. Dann lernte er eine Frau kennen und zog vor ein paar Jahren nach London. Jetzt arbeitet er bei uns.«
In Irenes Kopf drehte sich alles im Kreis. Wahrscheinlich waren das alles Wespen aus dem Wespennest, auf das sie getreten war.
»Ich melde mich wieder, wenn ich mehr weiß«, beendete Glen das Gespräch.
»Danke … vielen Dank«, erwiderte Irene.
Als sie ihr Handy abstellte, war sie so erschöpft, als hätte sie ein spezielles Ausdauertraining hinter sich.
KAPITEL 19
Irene beschloss, das Auto auf dem Parkplatz oberhalb des Fuß- und Radweges abzustellen. Der Parkplatz war von hohen Bäumen und Büschen umgeben, hinter denen der Wagen nicht zu sehen war. Jenseits der Büsche und Bäume erstreckten sich die Wiesen bis zur Villa von Sanna Kaegler-Ceder. Das Gebäude war gut zu sehen, da die Außenbeleuchtung eingeschaltet war.
»Von hier aus können wir die Vorderseite und den Westgiebel überwachen. Die Rückseite und den Ostgiebel sehen wir überhaupt nicht. Also muss sich einer von uns dort postieren«, stellte Tommy fest.
Er hatte ein normales, aber lichtstarkes Fernglas dabei. Irene hatte sich ein Spezialfernglas beim Drogendezernat ausgeliehen. Es hatte sie einiges an Überredung gekostet. »Man muss auch etwas abgeben können. Das lernen die Kinder heutzutage schon in der Krippe«, hatte Irene lächelnd gesagt und war dann, ihre Beute fest im Griff, schnell verschwunden. Da um das Haus herum keine Büsche oder Bäume wuchsen, mussten sie auf Abstand
Weitere Kostenlose Bücher