Der erste Verdacht
rund um die Uhr observiert werden. Und es gibt zwei Gründe, sie zu bewachen. Falls der Mörder wirklich noch einmal zuschlagen will, schützen wir zum einen ihr Leben, zum anderen bekommen wir endlich das Schwein zu fassen, das den beiden nach dem Leben trachtet.«
»Und wenn sie gelogen hat? Dann setzen wir eine sinnlose Überwachung in Gang, die nur eine Menge Geld kostet …«, hob Jonny an.
»Hättest du sie gestern gesehen, dann wärst du auch überzeugt, dass sie die Wahrheit spricht. Glaub mir. Ich habe mir von ihr in den letzten Wochen eine Menge Lügen anhören müssen. Sie ist eine schlechte Lügnerin«, unterbrach ihn Tommy.
Jonny murrte und schaute finster drein, beharrte aber nicht weiter auf seinem Einwand. Alle wussten, wie sehr er Überwachungen verabscheute, denn sie setzten voraus, dass man stundenlang wach und auf Zack war.
»Wann fangen wir an?«, fragte Irene.
»Nach dem Mittagessen. Kajsa und Birgitta übernehmen die erste Schicht«, entschied Andersson.
»Sollten wir Sanna informieren?«, wollte Birgitta wissen.
»Nein. Wir wissen nicht, wer der Mörder ist, vielleicht sind es ja auch mehrere, und unsere Madame weiß es offenbar auch nicht. Wenn sie weiß, dass sie überwacht wird, könnte sie den- oder diejenigen, auf die wir es abgesehen haben, unbewusst warnen.«
Irene war erleichtert, dass der Kommissar die Gefahr, die Sanna und ihrem Sohn drohte, ernst nahm. Dazu hatten sie wirklich allen Grund.
Sie teilten für die nächsten Tage die Schichten ein. Irene und Tommy würden gleich die Spätschicht von sechs Uhr bis Mitternacht übernehmen. Samstagvormittag würde sie mit Jonny zusammenarbeiten, da Tommy »aus privaten Gründen« das Wochenende frei hatte. Irene bekam einen Kloß im Hals. Denn »der Grund« war, dass Agneta auszog. Tommy wollte mit den Kindern zu seinen Eltern fahren. Das musste für ihn wirklich die Hölle sein, Irene sah ihn aus den Augenwinkeln an und bemerkte dunkle Ringe um seine Augen. Wahrscheinlich bekam er nicht viel Schlaf. Sein Gesicht wirkte hager, und es war auch zu sehen, dass er um den Bauch abgenommen hatte. Er hatte zwar davon gesprochen, dass er ein paar Kilo abnehmen müsse, aber er hatte es sich vermutlich nicht zum Ziel gesetzt, gleich so ausgezehrt dazustehen. Bislang wusste nur Irene von der Scheidung. Die anderen schienen Tommy nichts angemerkt zu haben. Er tat alles, um seinen Schmerz zu verbergen. Wie lange konnte ein Mensch alles in sich hineinfressen, bis es wieder aus ihm hervorbrach? Früher oder später würde es geschehen, das wusste Irene aus Erfahrung, und Tommy hatte seine Probleme schon viel zu lange verborgen.
Zuletzt hatten Irene und Krister Tommy und Agneta an Mittsommer getroffen. Es war nun schon ein paar Jahre lang Tradition gewesen, Mittsommer mit Freunden und Nachbarn im Sommerhaus der Perssons auf Orust zu feiern. Tommys ältester Sohn Martin war Irenes Patenkind. Sie unterhielten sich immer gerne und hatten ihren Spaß, aber an diesem Wochenende war es anders gewesen. Der Fünfzehnjährige war ihr einsilbig aus dem Weg gegangen. Sonst war er doch immer so gesprächig gewesen. Nach dem Festessen war er mit seinen Freunden losgeradelt und erst um zwei Uhr nachts wieder heimgekommen. Agneta hatte erzählt, seine Freundin befinde sich auf einer Sprachreise in England, und deswegen sei er schon die ganze Woche schlechter Laune.
Vielleicht war es aber auch gar nicht um das Mädchen gegangen. Wahrscheinlich hatte sein Verhalten nur gezeigt, wie es um die ganze Familie stand. Er war alt genug, um zu merken, dass sich etwas zusammenbraute. Vielleicht hatte er auch das eine oder andere mitbekommen. Im Übrigen hatte nichts darauf hingewiesen, was bevorstand. Sowohl Tommy als auch Agneta hatten das Geheimnis bestens gewahrt.
Tief in ihrem Inneren fühlte sich Irene immer noch auf unerklärliche Weise verraten.
Gerade als Irene den letzten Bissen ihrer mit Makkaroni überbackenen Fleischwurst gegessen hatte, flötete ihr Handy. Es war Glen Thomsen, und noch bevor sie etwas sagen konnte, begann er zu reden.
»Du hast wirklich eine unwahrscheinliche Begabung, in die merkwürdigsten Fälle verwickelt zu werden, aber jetzt, glaube ich, bist du in ein regelrechtes Wespennest getreten!«
Er lachte, und Irene war sich nicht sicher, ob sie mitlachen sollte. Bevor sie jedoch länger darüber nachdenken konnte, fuhr er schon in gedämpftem Tonfall fort: »Als ich mich heute Morgen umhörte, konnte mir niemand sagen, wo Edward
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