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Der erste Verdacht

Der erste Verdacht

Titel: Der erste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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und schwierig der Einkauf war, schenkten sie ihr einfach keine Beachtung mehr. Im Januar 2000 musste auch Bergman zugeben, dass die Lage katastrophal war. Sie hatten nicht einmal zehn Prozent dessen verkauft, was sie prognostiziert hatten. Nach außen hin ließ sich die Führung nichts anmerken. Nicht die geringsten Andeutungen einer Warnung waren zu vernehmen, was jeglicher Geschäftsmoral widersprach und geradezu kriminell war. Rückblickend wirkt ihr Verhalten in keinster Weise verwunderlich. Sie wollten das Unternehmen an die Börse bringen und schnelles Geld verdienen.
    Der große und unkontrollierte Geldverbrauch brachte sich jedoch unangenehm in Erinnerung. Das Führungstrio entschloss sich, eine fünfte Investitionsrunde einzuläuten. Mindestens fünfundvierzig Millionen Dollar mussten her. Bei einer Vorstandssitzung im Januar 2000 wurde beschlossen, den Börsengang auf ›irgendwann‹ im zweiten Quartal zu verschieben.
    Ein großer Rückschlag war auch die große Anzeigenkampagne, die Sanna Kaegler für den Börsengang bestellt hatte. Sie hatte eine Menge Geld gekostet und wurde mit einem Kredit bezahlt. Der Kreditrahmen wurde weit überschritten, was Sanna nicht zu bekümmern schien. Bergman gelang es, neue Bedingungen auszuhandeln. Die Grenze wurde auf neun Millionen Dollar festgesetzt. Auch dieses Geld sollte eines Tages von ph.com zurückgezahlt werden, aber auch das schien den Eigentümern keine Sorgen zu bereiten.
    Die Schulden häuften sich. Sie hatten zu viele gut bezahlte Angestellte, zu viele und zu teure Büros in aller Welt, teure Berater und ein zu großes Warenlager. Dazu kam noch, dass die Verspätung des Projekts um sechs Monate bis zur Lancierung das Unternehmen eine Menge Geld gekostet hatte. Der Verkauf war immer noch katastrophal schlecht! Es kam also kein neues Geld herein; das Unternehmen war dabei auszubluten.
    Die Führungscrew hatte bereits vor Weihnachten Sparmaßnahmen beschlossen. Man wagte nicht, alle teuren Büros zu schließen und Angestellte zu entlassen; das würde den Investoren die falschen Signale geben. Was blieb, war ein Erlass, dass alle ihre Handyrechnungen und Reisekosten zu senken hätten.
     
    Das ganze Projekt ph.com beruhte auf einer gigantischen Fehleinschätzung. Die Prämisse war, dass reiche Leute exklusive Markenwaren via Internet kaufen würden. Bergman hatte voller Überzeugung behauptet: ›Wir werden einen neuen Typus Kunden zum Internet-Handel locken! Unsere Kunden wissen, was sie haben wollen. Sie haben viel Geld und einen guten Geschmack. Das Einzige, was sie nicht haben, ist Zeit. Der Zeitgewinn, den sie dadurch erzielen, dass sie bei uns bestellen, wird ph.com einen großen Kundenkreis bescheren!‹
    Die Lieferanten ließen sich auf keine Rabatte ein. Bereits da wusste man aus Umfragen, dass die Hauptmotivation für einen Einkauf im Internet in dem Wunsch bestand, etwas billiger zu bekommen. Offenbar stellten die Kunden von ph.com keine Ausnahme dieser Regel dar, denn der Verkauf zog nicht an. Er betrug immer noch nur knapp zehn Prozent der ursprünglichen Prognose.
    In den ersten Monaten des neuen Jahrtausends tauchten die ersten kritischen Artikel über ph.com in der Presse auf. Was verbarg sich eigentlich unter der coolen und trendigen Oberfläche? Den Medien gegenüber zeigten sich Bergman und Kaegler uneingeschränkt zuversichtlich, aber sie waren natürlich im Innersten zutiefst erschüttert – und zwar weniger wegen der katastrophalen wirtschaftlichen Situation von ph.com, sondern eher, weil über sie nicht mehr nur positiv berichtet wurde.
    Beide waren sicher sehr erleichtert, als Thomas Bonetti ganz überraschend erklärte, er wolle ph.com wegen ›neuer, eigener Projekte‹ verlassen. Das war Ende Januar. Bonetti wollte umgehend mit der Arbeit aufhören. Das halbherzige Angebot, weiter im Vorstand zu bleiben, nahm er nicht an, und am 1. Februar verließ er ph.com endgültig.
    Im März 2000 platzte die IT-Blase. Nach einer unsicheren Prognose für Intel begannen plötzlich die Technikaktien des NASDAQ zu fallen. Im April fielen sie um fünfundzwanzig Prozent. Es dauerte mehrere Monate, bis der Markt in den USA begriffen hatte, was passiert war. In Europa dauerte es noch länger. Mehrere Dotcom-Unternehmen gingen im Jahre 2000 bankrott. Tausende Konkurse machten Hunderttausende von Beschäftigten innerhalb des IT-Sektors arbeitslos. Der Begriff ›Dotcom-Tod‹ wurde geprägt.
    Natürlich überlebte ph.com mit seinen schlechten Finanzen

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