Der erste Verdacht
dem Absender des Fingers um dieselbe Person handelte, die auch die Brille an Thomas Bonettis Eltern geschickt hatte. Die meisten Mörder gingen immer nach der gleichen Methode vor.
»Ja. Ich sollte Geld zahlen … Erpressung. Auf dem Zettel stand, das sei Thomas’ Finger. Falls ich nicht zahlte, würde mich dasselbe Schicksal ereilen. Und ich habe immer weiter gezahlt … und jetzt habe ich kein Geld mehr!«
Ihr traten wieder Tränen in die Augen. Irene hätte gerne danach gefragt, wie denn dann das neue Haus in Askim finanziert worden sei. Es war ihr jedoch klar, dass das unklug gewesen wäre. Es bestand die Gefahr, dass Sanna dann gänzlich schwieg. Jetzt sprach sie zumindest mit ihnen und schien überdies die Wahrheit zu sagen.
»An wen haben Sie gezahlt?«, fragte Irene weiter.
»An Edward. Er hat es dann auf ein anderes Konto weiterüberwiesen. Er weiß aber auch nicht, wem das Konto gehört.«
»Wie viel haben Sie gezahlt?«
»Zwanzigtausend Dollar im Monat.«
Nachdem Irene rasch im Kopf nachgerechnet hatte, war ihr klar, warum Sanna kein Geld mehr hatte. Zahlte man fast drei Jahre lang fast zweihunderttausend Kronen im Monat, dann schmolz das Vermögen recht rasch dahin.
»Edward Fenton, der Bruder Ihres Schwagers, hat sich darum gekümmert? Der Chef der Europafiliale von H.P. Johnson’s?«, fragte Tommy.
»Ja. Er hat den Finger, den man ihm geschickt hatte, ebenfalls weggeworfen. Aber jetzt werden sämtliche Finger zurückverlangt. Deswegen hat er mich gebeten nachzuschauen, ob Kjell seinen aufgehoben hat. Ich habe jetzt schon stundenlang gesucht, aber nichts gefunden.«
Irene und Tommy warfen sich einen raschen Blick zu. Dass Kjell Bengtsson Ceder einen Finger bekommen hatte, war nicht weiter erstaunlich, aber dass Edward Fenton ebenfalls einer der Empfänger gewesen war, war eine Überraschung. Da der Leiche von Thomas Bonetti nur vier Finger gefehlt hatten, bedeutete das, dass Sanna Kaegler, Joachim Rothstaahl, Kjell Bengtsson Ceder und Edward Fenton je einen erhalten hatten. Etwas konnte daran nicht stimmen, so viel war Irene klar.
»Wann wurde von Ihnen verlangt, dass Sie nach Kjells Finger suchen sollten?«, fragte sie vorsichtig.
»Gestern in der Früh, vermutlich weil Thomas’ Leiche entdeckt worden war.«
»Stand auf dem Zettel, den Sie vor drei Jahren erhalten hatten, dass er ermordet worden war?«
»Nein, nur dass es sich um Thomas’ Finger handelte. Es war wirklich wahnsinnig eklig … er war schließlich verschwunden. In der Tat war er so verschlagen, dass ich erst den Verdacht hegte, er habe das Ganze selber arrangiert und sich die Finger eines Toten besorgt, um sie dann an verschiedene Leute zu schicken und sie zu erpressen. Obwohl er ph.com um große Summen betrogen hatte, ist es sehr teuer, sich versteckt zu halten.«
»Aber nicht er hatte die Finger verschickt. Er war zu jenem Zeitpunkt bereits tot«, meinte Irene trocken.
Sanna zuckte zusammen, als hätte man sie zurechtgewiesen. Offenbar gefiel ihr ihre eigene kleine Theorie besser als die Wirklichkeit.
»Hat Ihnen Philip erzählt, dass er ebenfalls einen Finger erhalten hatte?«
Sanna wirkte aufrichtig erstaunt.
»Nein. Aber das wäre nicht unwahrscheinlich, wenn man bedenkt … was … ihm zugestoßen ist.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie konnte einen Schluchzer nicht unterdrücken. Irene hielt es inzwischen für ausgeschlossen, dass sie am Mord an Philip Bergman beteiligt gewesen war. Es war offensichtlich, dass sie sein Tod sehr mitgenommen hatte. Vielleicht hätte sie Joachim und Thomas erschießen können, aber Philip keinesfalls.
Ihren Äußerungen zufolge hätten mindestens fünf abgetrennte Finger in Umlauf gewesen sein müssen, aber das konnte nicht sein.
»Warum erhielt Edward einen Finger?«, fragte Tommy. Sanna seufzte und ließ den Kopf hängen.
»Er hatte für irgendwelche Leute Geld in ph.com investiert, die dieses Geld nicht verlieren wollten. Das passiert, wenn man mit Risikokapital zu tun hat. Das gehört zum Spiel. Dann bekam Edward ebenfalls einen Finger mit der Post und musste zahlen. Sonst wäre ihm dasselbe passiert wie Thomas. Er erhielt dieselbe Drohung wie ich.«
»Das muss bedeuten, dass er die Person kennt, die ihr Geld zurückfordert«, vermutete Irene.
»Ich weiß es nicht. Er behauptet, dass er das nicht tut.«
Sannas Stimme klang fast uninteressiert. Offenbar war ihr nicht bewusst, wie wichtig die Antwort auf diese Frage war. Oder vielleicht doch?
»Edward
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