Der erste Verdacht
Fenton vermittelte also nur Ihr und sein Geld auf dieses unbekannte Konto«, verdeutlichte Irene sicherheitshalber.
»Ja.«
Etwas stimmte nicht, aber Irene hatte keine Zeit zu analysieren, wo der Fehler steckte. Stattdessen fragte sie: »Wie war Ihr Finger verpackt, als Sie ihn erhielten?«
»In einem Plastikröhrchen für Brausetabletten, Vitamin C.«
»Und wie war das Röhrchen verpackt?«
»Es lag in einem gefütterten Umschlag.«
»Erinnern Sie sich noch an den Poststempel?«
Sanna runzelte die Stirn und schien sich zu konzentrieren. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Nein. Ich erinnere mich nicht.«
»Ging der Brief an die Adresse Ihrer Mutter?«
»Warum an die meiner Mutter …? Ich war gerade in meine Wohnung eingezogen. Der Brief erreichte mich dort.«
Was bedeutete, dass der Absender genau gewusst hatte, dass Sanna nach Göteborg zurückgezogen war. Er hatte sie im Blick gehabt. Sogar ihre neue Adresse kannte er. Das bestärkte Irene in ihrer Meinung, dass der Mörder zumindest eine gewisse Beziehung zu Göteborg haben musste.
»Wussten Sie, dass Kjell auch einen Finger erhalten hatte?«
»Nein. Das erfuhr ich erst gestern.«
»Warum, glauben Sie, hat er auch einen erhalten?«
Sanna zog die Augenbrauen hoch und sah Irene direkt an.
»Ich habe in der Tat keine Ahnung. Das habe ich mir noch gar nicht überlegt«, entgegnete sie aufrichtig erstaunt.
»Hatte Kjell etwas mit ph.com zu tun?«
»Nein. Nicht das Geringste! Er war vollkommen mit seinem Hotel und seinen zwei Restaurants ausgelastet.«
»Hatte er Geld in Thomas Bonettis und Joachim Rothstaahls Unternehmen Pundfix in London investiert?«
»Nein. Kjell investierte sein ganzes Geld in sein Hotel, das, wie er behauptete, Unsummen verschlang.«
Plötzlich erhob sich Sanna und sagte mit halberstickter Stimme: »O Gott! Wenn wir den Finger nicht finden, kann ich ihn nicht zurückgeben. Dann ist alles aus für Ludwig und mich!«
Tommy sah sie ruhig an.
»An wen sollen Sie ihn denn zurückgeben?«
Sie rang nach Luft, und das Entsetzen stand ihr wieder ins Gesicht geschrieben.
»Das weiß ich nicht. Sie werden sich mit mir in Verbindung setzen.«
»Wie?«
»Über Edward. Er will sich heute Abend oder morgen früh melden. Falls ich den Finger bis dahin gefunden habe, erhalte ich weitere Anweisungen.«
Irene und Tommy erhoben sich gleichzeitig. Tommy legte seine Hand leicht auf Sannas Arm und sagte: »Wir helfen Ihnen beim Suchen. Dann können Sie mit gutem Gewissen sagen, dass Sie nichts gefunden haben, wenn Edward wieder anruft. Kjell könnte den Finger ja auch weggeworfen haben, genau wie Sie und Edward. Denken Sie daran, dass die Presse noch nicht erfahren hat, dass der Leiche von Thomas vier Finger fehlen. Die Presse weiß auch noch nicht, dass wir einen davon bei Joachim gefunden haben. Derjenige, der die Finger zurückfordert, ahnt also nicht, dass die Polizei bereits das Meiste über die fehlenden Finger weiß.«
Ein Teil des Gesagten schien tatsächlich zu Sanna durchzudringen, denn sie wirkte jetzt weniger nervös, obwohl sie nicht vollkommen überzeugt zu sein schien.
Zu Irenes Erleichterung übernahm Tommy aus freien Stücken die Aufgabe, den Gefrierschrank zu durchsuchen. Sanna verschwand in einem Zimmer, in dem wahrscheinlich ihr verstorbener Mann geschlafen hatte.
Lustlos begann Irene, die große Wohnung mit allen ihren Zimmern und Möbeln zu durchsuchen. Sie begab sich in die Diele und versuchte sich einen logischen Plan zurechtzulegen.
Wo versteckte man ein Leichenteil? In einer Truhe. Ihr Blick fiel auf eine reich verzierte Truhe mit Eisenbeschlägen an der einen Wand. Der Schlüssel steckte, und Irene öffnete den schweren Deckel. Das Einzige, was in der Truhe lag, waren ein paar Gummistiefel, eine Taschenlampe und ein blauer Allwetteranzug von Helly Hansen. Sie suchte akribisch alles ab, aber kein Finger, nirgendwo.
Gab es eine andere denkbare Stelle? Wenn man keine Truhe verwendete, was dann? Plötzlich tauchte ein Bild aus ihrem Unterbewusstsein auf. Eine Urne. Die Urne. Das war in der Tat nicht unmöglich. Zielstrebig ging sie zurück in die Bibliothek. Auf dem Kaminsims stand die schwarze Steinurne, die von protzigen Kandelabern flankiert wurde. Die Urne war glatt poliert und spiegelblank. Der Stein war grün marmoriert mit Einschlag von Glimmer. Vorsichtig hob sie sie herunter und stellte sie auf die gehäkelte Decke des Couchtischs. Sie musste mit beiden Händen zupacken, denn die Urne war überraschend
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